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Berlin: Manchmal Fleisch, manchmal nur Leitungswasser

Unsere Probierrunde testete Fonds, Jus und Glace aus dem Lebensmittelhandel.

Die Welt ist nun einmal aufgeteilt. Wer beim Kochen grundsätzlich Fond benutzt, gehört einem anderen Lager an als jemand, der gerne Sahne in den Topf kippt. Das hängt nicht allein mit der jeweiligen Kochauffassung oder Situation zusammen – im einen Fall wird etwas konzentriert, im anderen verlängert –, sondern auch mit Verfügbarkeit. Während Sahne überall erhältlich ist, muss man sich nach einem anständigen Fond gründlich umschauen, es sei denn, man hält einen Maggiwürfel dafür.

In der Tat gibt es ja bereits eine Sprachverwirrung, wenn es um die Bezeichnung für tierische Saucenbasis geht.Drei Worte, nämlich Fond, Jus und Glace stehen je nach Konzentration zur Auswahl, und wer es mag, fügt noch Fleischextrakt hinzu oder einfach bloß Saft. Allerdings spielten Definitionen für die monatliche Testrunde keine Rolle, denn wer wie sie nach einem nennenswerten Kalbsfond sucht, findet ohnehin nicht viel mehr als eine Handvoll Probanden.

Gastgeber Tim Raue, der überwiegend mit Hühnerfond kocht, ließ sich von diesem Mangelware-Thema nicht beirren und erwärmte zur Einstimmung einen Brühwürfel. Normalerweise erhalten solche Mittelchen keinerlei Zutritt zu seiner Restaurantküche, aber weil Raues Kollege Alfons Schuhbeck so gewinnend von der Packung lächelt, erhielten „Fuchs Goldstücke Rinderfondwürfel“ doch einen Startplatz. Vergebens: Trotz erkennbarer Aufwertungsbemühungen, die sich unter anderem in einem Karamellton niederschlagen, zog die Runde den Vergleich mit gekörnter Brühe oder dem gelb-bräunlichen Pulver, das in der Schweiz als „Condi-mix“ verehrt wird.

Konkurrent Johann Lafer hat im TV-Kampf um die Hoheit über den Volksherd zumindest geschmacklich die Nase vorn. Sein „Bratenfond“ wirkt im ersten Augenblick wie Fleischbrühe mit recht ausgeprägten Maillardnoten. Sofort allerdings folgt eine künstlich wirkende Würzattacke. Jedes weitere Wort verbietet sich eigentlich auch bei „Gut Krauscha Bio-Rinderfond“ aus dem Schraubglas. Das Erzeugnis vom Ökomarkt konsternierte geradezu mit einer verdünnten Gemüsebrühe, in die sich, wie Raue meinte, „eine Beinscheibe verirrt hat“. Noch deutlicher wurde der Meister aus Kreuzberg, als es um die Eigenmarke aus dem Kaufhaus am Wittenbergplatz ging. „Mein KaDeWe, das ich von Herzen liebe“ sei sich nicht zu schade, einen oxidativen „Hahnefong“ (für Nichtberliner: Leitungswasser) mit der „großartigen Zutat Muskat“ anzubieten. Demgegenüber konnte sogar eine ins Glas gefüllte Allerweltsbrühe wie der Kalbsfond von „Langbein“ auf seinen Möhrenduft und das typische Trockengemüse-Aroma pochen. Nur „Lacroix“ ließ den KaDeWe-Fondversuch nicht hängen. Es nähert sich ihm sowohl von Konsistenz als auch Geschmack an.

Das Frischeparadies und der Internetanbieter Bosfood.de bieten die dänische Marke „Oscar“ in schwarzen Plastikflaschen an. Oscar zählte vor langen Jahren einmal zu den Überraschungen an dieser Stelle. Heute jedoch mochte die Runde ihr günstiges Urteil von damals nicht mehr wahrhaben, denn der „Fond Kalb“ schien zu einseitig auf Gemüse und Tomate gebaut, zu denen sich noch ein Ton von Hefeextrakt gesellt. Die über denselben Vertrieb erhältliche Creme „Aromont Demi-Glace Kalb ‚Braun’“, die zu 42 Prozent aus Kalbsfond besteht sowie einer beeindruckenden Zutatenliste, fügt nach dem Eindruck der Testrunde noch gebrannte Zuckercouleur hinzu.

Was Gebein auszurichten vermag, führt der in der Fleischerei Bachhuber erhältliche „Thönes Natur-Verbund Bio Kalbsfond“ vor. Zwar fehlt der schwappigen Flüssigkeit ein prägnanter Kochfleischton, dafür aber ist das an Muskat und Mark gelehnte Knochenaroma gut entwickelt – auch deshalb, weil Gemüse und Kräuter lediglich in dienender Funktion verharren. Stellt man noch einen Preis von unter vier Euro für 280 ml in Rechnung, so hat Thönes bei Suppen durchaus eine Bewährungschance verdient. Für eine Sauce fehlt die Statur.

Die besitzt „Jus Comte Kalbsjus hell“ zur Genüge. Es handelt sich bereits um eine (fast) fertige Sauce, die da aus dem Döschen des Käsehändlers Maître Philippe Causse rinnt. Nach Raues Ansicht wird in 90 Prozent aller Berliner Restaurants keine Sauce dieses Niveaus serviert, und bereits verfeinert mit einem Stückchen Butter wäre Jus Comte perfekt. Doch dem Rest der Runde blieben Zweifel, vor allem wegen des hervorstechenden (Trocken-)Majorans, Thymians und weißen Pfeffers, dann einer fruchtigen Süße, die nur den Anschein von Geschlossenheit liefert, sowie einem Duft, der dem einer frisch geöffneten Dose Ravioli nicht fern genug steht. Demgegenüber ist Bosfoods Paste „Chef Les Fonds Premium Kalbsfond“ womöglich zu sehr Gewürz und zu wenig Strukturhilfe, entfaltet aber fleischige, von Knoblauch und Tomatenmark konturierte Substanz sowie reichlich Röstnoten.

Obwohl „Belon-Berlin Kalbssauce – Glace de veau“ aus der Manufaktur des früheren Adlon-Küchenchefs Axel Hirtzbruch nur ein fettfreier Baustein ist, garantiert sie, dass ein Bratensatz seine grobe Vorläufigkeit verliert. Das bei Coledampf’s besorgte Halb-Gelee aus einem 156-ml-Gläschen ist 12,50 Euro allemal wert. Denn das mit Sherryhauch parfümierte Jus bringt viel Fleisch und Knochen mit und kann vorhandene Geschmäcker einlagern, austarieren und steigern. Wer sagt, er könne auf diesem Gebiet noch bedeutend mehr erreichen, gleicht dem Vogel, der behauptet, im luftleeren Raum noch schneller fliegen zu können.

Coledampf’s & Companies, Kreuzberg, Prinzenstr. 85

Fleischerei Bachhuber, Wilmersdorf, Güntzelstr. 47

Fleischerei Lindow, Grunewald, Teplitzer Straße 40

Frischeparadies Lindenberg, Charlottenburg, Morsestr. 2

Maître Philippe, Wilmersdorf, Emser Str. 42

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