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Berlin: Manchmal schmerzhaft, oftmals entlarvend Die Berichte über die Vorgänge hinter den Kulissen

haben die Berliner Politik vorangebracht

Der Autor war von 1977 bis 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin

Warum ist es so schwer, eine Anekdote über Brigitte Grunert als journalistische Begleiterin der Berliner Stadtpolitik zu schreiben? Warum erfasst man das Wirken dieser Journalistin nicht, wollte man sie durch eine Anekdote apostrophieren wie sie selbst Berliner Landespolitik vor und hinter den Kulissen charakterisierte? Die Antworten sind einfach: Weil es ihr selbst letztlich nie wirklich um Anekdotisches im öffentlichen Leben ging, sondern um die Pointierung von inhaltlicher politischer Substanz.

Viele Jahre meines politischen Lebens war ich es gewohnt, beim Blick in die Berliner Presseerzeugnisse nach der journalistischen Reaktion von Frau Grunert auf dieses oder jenes politische Ereignis zu suchen - so, wie nach der anderer Journalisten, die sich der Berliner Stadtpolitik verschrieben hatten. Die Hinwendung zur Stadtpolitik, das war - nach dem Viermächte-Abkommen - das von mir propagierte Thema für Berlin.

Frau Grunert verkörperte damals mit ihrer Art durchaus einen neuen Journalisten-Typus. Ihre wenigen Kolleginnen im Rathaus vor ihr waren samt und sonders auf die großen berlinpolitischen Themen fixiert, sie waren Expertinnen des Viermächte-Status und der Berlin- und Deutschlandpolitik.

Anders Frau Grunert. Sie interessierte sich für das Spiel der Kräfte in der Halbstadt, für den Erwerb, den Gebrauch und den Verlust von demokratischer Macht in den Verfassungsorganen der Gebietskörperschaft. Sie stand dabei in einer liberalen journalistischen Tradition – unter Jürgen Engert beim „Abend“, unter Günter Matthes beim Tagesspiegel. Und das hieß: die zugespitzte journalistische Meinung über einen politischen Vorgang konnte und durfte, ja, musste geschrieben werden. Aber ein parteiischer Journalismus, der kam niemals in Frage.

Haben wir, die wir Politik gemacht haben, Brigitte Grunert geschätzt? Keineswegs immer. Dafür waren ihre Berichte über das Berliner Kulissengeschiebe oft genug nicht gerade amüsant für die Betroffenen, manchmal entlarvend, und ihre Berichte und Kommentare gelegentlich, weil zugespitzt, auch schmerzhaft.

Schon im Mikrokosmos der 70er Jahre haben wir die stadtpolitische Seriosität respektiert, die hinter dem Kürzel Gru steckte. Und auch die ganz individuelle Art gemocht, mit der Frau Grunert - erfahren im Wissen um die Dinge der Politik - letztendlich jeden der Verantwortungsträger und auch solche, die sich dafür hielten, dazu brachte, ihr etwas zu erzählen. Wer kann schon behaupten, ihrer berlinisch eingefärbten Fragetechnik, ihrer charmant gespielten Naivität und ihrer scheinbar arglosen Harmlosigkeit stets widerstanden zu haben?

Was sie in ständigem Kontakt zur Berliner Landespolitik erfuhr, wusste sie in Anekdoten zu verarbeiten, wenn es eh nicht von erhabener Bedeutung war. Oder eben zu Nachrichten, Reportagen, Berichten, manchmal Kommentaren, Belege für eine profunde Sachkunde über die komplexen und schwierigen Zusammenhänge der res publica, die ihr am Herzen liegt.

Dietrich Stobbe

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