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Berlin: Mandat mal Stimme – geteilt durch Wähler

Die Berechnung der Parlamentssitze ist so komplex, dass kleine Ursachen große Wirkungen haben

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Ein Irrtum mit gravierenden Folgen: Im Wahllokal 107 in Lichtenberg werden die Stimmen von Grünen und Linken vertauscht. Als das am Montag korrigiert wird, profitiert davon im Wahlkreis 1 die Kandidatin der Linken, Evrim Baba-Sommer, deren Ergebnis um 230 Stimmen wächst. Damit liegt sie jetzt vor der „falschen“ Siegerin Karin Seidel-Kalmutzki (SPD). Im Ergebnis verlieren nicht nur die Sozialdemokraten ein Direktmandat in Lichtenberg, sondern auch Linke und Grüne müssen ein Mandat hergeben. Das Abgeordnetenhaus schrumpft von 152 auf 149 Sitze. Am politischen Gesamtbild im Parlament ändert das allerdings nichts. Das ist verwirrend, aber so ist nun mal unser Wahlrecht.

Erster Schritt: Teilnahme der Parteien

an der Sitzverteilung

Bei der Zuteilung der Mandate werden alle Parteien berücksichtigt, die mindestens fünf Prozent der abgegebenen Zweitsimmen oder mindestens einen Wahlkreis errungen haben. Das waren SPD, CDU, Grüne, Linke und Piraten.

Zweiter Schritt: Verteilung

der Wahlkreis-Mandate

In Berlin waren 78 Wahlkreise zu vergeben. Alle Kandidaten, die im Wahlkreis jeweils die meisten Stimmen erhalten, kommen ins Parlament. Bei dieser Wahl verteilten sich die Direktmandate so: SPD (35), CDU (25), Grüne (11) und Linke (7).

Dritter Schritt: Verteilung

der 130 Grundmandate

Laut Verfassung gehören dem Berliner Landesparlament mindestens 130 Abgeordnete an. Diese Mandate müssen so verteilt werden, dass die Parteien entsprechend ihrem Anteil an den Wählerstimmen im Abgeordnetenhaus vertreten sind. Maßgebend sind die Zweitstimmen. Bei Parteien, die nicht mit einer Landesliste, sondern mit Bezirkslisten antreten, werden die Bezirksstimmen zusammengezählt und nach der Berechnung der Parlamentssitze wieder auf die Bezirksverbände dieser Parteien umverteilt. Berechnet wird dies nach dem „Verfahren der mathematischen Proportion“, benannt nach dem britischen Juristen Thomas Hare und dem deutschen Mathematiker Horst Niemeyer.

Das Rechenprinzip: Zahl der Parlamentssitze multipliziert mit der Zweitstimmenzahl der Partei, geteilt durch die Zahl der gültigen Wählerstimmen. Das Ergebnis wird auf- bzw. abgerundet. So ergibt sich bei dieser Wahl folgende Verteilung der Grundmandate: SPD (41), CDU (34), Grüne (25), Linke (17) und Piraten (13). Macht 130 Sitze. Weil SPD und CDU mit Bezirkslisten antraten, werden die Mandate nach derselben Rechenregel auf diese Listen umverteilt.

Vierter Schritt: Feststellung

der Überhang- und Ausgleichsmandate

Das große Elend der Mandatsberechnung sind genau diese Bezirkslisten. Denn jede Partei hat eigene Hochburgen, in denen sie besonders viele Wahlkreise gewinnt. Bei Grünen und Linken gleicht sich das über die Landesliste aus. Aber bei SPD und CDU entsteht der Effekt, dass sie in einzelnen Bezirken mehr Wahlkreise erobern als ihnen im Bezirk an Parlamentssitzen zustehen. Zwei Beispiele: Die SPD kam in Pankow auf 7 Direktmandate, obwohl sie laut Hare-Niemeyer nur 5 Bezirksmandate haben dürfte. Die CDU in Reinickendorf gewann 6 Wahlkreismandate, aber ihr stünden eigentlich nur 4 Volksvertreter aus dem Bezirk im Abgeordnetenhaus zu.

Berlinweit kam die SPD auf 7 solcher Überhangmandate, die CDU auf 3. Sie dürfen den Parteien nicht weggenommen werden, denn gewonnene Wahlkreismandate sind heiliges Gut der parlamentarischen Demokratie. Also werden sie auf die Grundmandate der Parteien aufgeschlagen. Demnach erhöht sich die Zahl der Parlamentssitze bei der SPD auf 48 (41 plus 7) und bei der CDU auf 37 (34 plus 3). Damit wären vor allem die SPD, aber auch die CDU im Abgeordnetenhaus besser vertreten als es das Wahlergebnis hergibt. Um die Gerechtigkeit wiederherzustellen, wird mit Ausgleichsmandaten aufgestockt: CDU (29), Grüne (5), Linke (3) und Piraten (2). Im Ergebnis sitzen im Parlament 152 und nicht 130 Abgeordnete.

Besser gesagt: Es sollten 152 Parlamentarier sein. Mit der Verwechslung von wenigen Stimmen in Lichtenberg kommt das komplexe Gebäude der Mandatsberechnung ins Rutschen. Ein Überhang- und zwei Ausgleichsmandate gehen somit verloren. Ulrich Zawatka-Gerlach

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