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Berlin: Manfred Schmale (Geb. 1940)

Die Beamten vermuteten eine Gotteslästerung. Dann schrieben sie eine Anzeige wegen „groben Unfugs“.

Nina und Manfred waren nicht zusammen, aber sie suchten zusammen eine Wohnung. Und da die Vormieterin am Telefon gesagt hatte, dass sie nur Paare weitervermitteln könnte, mindestens verlobt, hatten die beiden ein Problem. Manfred kaufte zwei Plastikringe, die setzten sie sich gegenseitig auf den Finger, dann sagte er: „So jetzt sind wir verlobt.“

Da sprachen sie also vor, hielten Händchen und schauten verliebt. „Was für ein schönes Paar“, sagte die Vormieterin noch. Die Wohnung bekamen sie dann doch nicht, aber Manfred fragte Nina kurzerhand, ob er nicht übergangsweise zu ihr ziehen könnte. Sie sagte Ja, er zog ein, und sie verliebten sich. Ende der 70er war das.

Manfred nannten alle nur „Male“, das war sein Künstlername, den seine erste Freundin ihm gegeben hatte. 18 Jahre war er da. Sie war eine sinnliche, sehr weibliche Frau, leider viel zu eifersüchtig, zu impulsiv. Manfred trennte sich. Künstler wollte er aber weiter werden, konnte sich nichts anderes in seinem Leben vorstellen.

Dieser Manfred hatte schon etwas Besonderes, erzählt Nina heute. Sanft war er und gutmütig, dabei hatte er eine mächtige Stimme, trug immer einen Bart und sehr oft diese viel zu weite Lederjacke. Und er lachte viel. Für Manfred durfte es nie zu ernst werden. Wenn doch, wechselte er das Thema. Er ritt gerne auf einer leichten Welle, so formuliert sie es.

Musste ja auch genug Ernst in seinem frühen Leben ertragen. Im Bergischen Land wuchs er auf, ohne Vater, der im Krieg verloren ging. Seine Mutter war die Fürsorge selbst. Schob ihrem Sohn das Essen zu, wurde selber magerer und magerer. Setzte ihn in den Fahrradkorb, strampelte die zehn Kilometer zum nächsten Bauern, um ein paar Liter Milch zu ergattern. Sie starb, als er 18 Jahre alt war. Mit zehn, mit elf und mit 14 verlor er drei gute Schulfreunde durch Krankheit und Unfälle.

In Berlin dann, Anfang der 60er Jahre als Student der Hochschule der Künste, erschuf er aus Gips eine gold-schwarze lebensgroße Figur. Mit zwei anderen Studenten brachte er sie zur Gedächtniskirche, drapierte sie auf den Stufen und ernannte sie zum „Mahnmal für alle unbekannten Gammler“. Laut einem Bericht des „Spandauer Volksblattes“ sammelten sich schnell 100 Leute, die der Aktion zusahen. Dann kam die Polizei und nahm die Figur und Manfred mit. Zwei Stunden wurde er von fünf Beamten verhört, sie vermuteten eine Gotteslästerung. Dann schrieben sie eine Anzeige wegen „groben Unfugs“.

Manfred, Student der Bildhauerei und Malerei, war Meisterschüler. Zwei Preise gewann er für Denkmäler. Fürs Goethe-Institut und für die Schaubühne schuf er Gipslandschaften. Er bekam Stipendien und verkaufte Plastiken nach Amerika. Malte Frauenakte, die nicht die Vollkommenheit zeigten, sondern normale Körper, so wie sie sind, mit ihren Fehlern und Macken. Chinatusche, Bambusfedern und Pinsel, das waren seine Lieblingswerkzeuge.

Nach seiner ersten, sinnlichen Freundin kam eine ganz andere. Sie war kühl, intellektuell und schön, so beschrieb er sie. Fünf Jahre waren sie zusammen, als sie ein Kind bekamen. Eine Tochter, zwölf Wochen zu früh geboren. Im Alter von zwei Jahren stellten sie bei ihr eine leichte Form des Autismus fest. Manfred und seine Freundin stritten sich, trennten sich. Wann immer es ging, holte Manfred seine Tochter zu sich, doch die vielen Auseinandersetzungen um das Kind, die richtige Pflege und die Sorgen darüber zehrten an ihm, veränderten ihn. Er aß mehr, wurde fülliger und fülliger.

Auch als Künstler kam er nicht weiter, denn er war keiner, der Klinken putzte. Keiner, der sich in den Raum stellte und die Aufmerksamkeit auf sich zog, der sich und seine Kunst verkaufen wollte. „Und faul war er leider auch“, sagte ein Freund über ihn. „Eine Schande, dass er sein Talent zu oft brach liegen ließ.“

Wie sollte es weitergehen?

Glück und Zufall. Die Fachhochschule für Sozialpädagogik suchte Kunstlehrer. Echte Künstler, solche wie Manfred. Erstmal wurde bei ihm geduzt. Dann baute er mit seinen Schülern riesige Puppen. Spielte Theater. War in seinem Element. Ob er nun Kunst für Zuschauer machte oder Kunst mit seinen Schülern, das war ihm gleich. Hauptsache, er war inspiriert und er konnte inspirieren. Stand er vor der Klasse, war er gütig und stabil. Eine Respektsperson, weil ihm wichtig war, was er da machte.

Gemeinsam mit Nina bezog er eine schöne Wohnung in Schöneberg, außerdem hatten sie ein klitzekleines Haus auf Mallorca. Manfred ritt wieder auf seiner leichten Welle, hatte seinen Platz gefunden. Sie bekamen einen Sohn, Fritz, und sie heirateten. Er im weißen Kleid und Schleier, sie im schwarzem Smoking mit Hut. Ein Foto zeigt sie mit ernsten Gesichtern, auf dem Arm trägt Manfred seinen Fritz.

Auf Mallorca fuhr Manfred mit seinem Moped zum Strand. Er trug ein großes Streifenhemd. Auf einem selbstgebastelten Kindersitz hockte Fritz ebenfalls im Streifenhemd. Hintendran zogen sie einen Anhänger, darauf das Banana-Boot, drei Meter lang.

Manfred wollte gern mit 60 Jahren aufhören zu arbeiten und nur noch Kunst machen und das Leben genießen. In den Ruhestand ging er dann auch, doch das war ein Fehler. Ihm fehlte die Struktur, die Sinnhaftigkeit. Einfach so von selbst schaffte er es nicht, sich aufzuraffen. Manfred versank in seinem Sofa und aß noch mehr. Wenn er rauskam, fuhr er mit seinem kleinen Motorboot über den Wannsee oder mit seinem Roller durch die Gegend. Nina versuchte, ihn ins Leben zu holen. Organisierte kleine Ausstellungen, zu denen er beitragen konnte. Doch irgendwie hatten ihn Mut und Lust verlassen, und die Jahre vergingen.

Als er den Krebs bekam, ging er in eine palliative Pflege gleich um die Ecke. Freunde besuchten ihn jeden Tag, seine Frau und sein Sohn waren die Nächte hindurch an seiner Seite. Er hatte keine Schmerzen, bis zum Schluss nicht.

Eine Seebestattung hat er sich gewünscht, also gelangte seine Asche auch ins Wasser. Außerdem ein kleines Banana-Boot aus Stoff mit Blumen, das Nina ihm genäht hatte. Langsam tauchte es unter, nur die Blumen schaukelten noch auf den Wellen.

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