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"Mühlenstraße" (2006).

© Illustration: Robert Stumpf

Mangakünstler Robert Stumpf: Künstler zeichnet Berlin-Ansichten im Mangastil

Warschauer Brücke und Fernsehturm, Hermannstraße und Bahntrasse: Robert Stumpf hat seine Wahlheimat in mehr als 100 Manga-Motiven dargestellt.

Die Sonne strahlt, die Schienen laufen am Horizont zusammen. Zwei S-Bahnen bestimmen das Bild, im Hintergrund ist die Silhouette des Fernsehturms zu sehen. Das alles ist akribisch klar und fein gezeichnet und mit Rasterflächen modelliert. Der orange-braune Farbton wirkt beruhigend. Diesen wunderbaren Blick auf Berlin hat man so nur von der Warschauer Brücke. Und er ist typisch für die Dynamik der Stadt, dieser von Verkehrsadern durchzogenen, Tag und Nacht von Zügen durchkreuzten Metropole.

„Warschauer Brücke“ heißt die Grafik aus der Serie „Berlin by Rost“ von Robert Stumpf, 2012 hat er sie gezeichnet. Sie ist eine von 25 Berlin-Grafiken, je 42 mal 84 Zentimeter groß, von betörend klarer Schönheit, die bis zum 8. Juni im Kunstraum der Gasag am Hackeschen Markt, Henriette-Herz-Platz 4, ausgestellt sind.

Die Schönheit des Verfalls

Berlin von seiner bekannten, aber auch von seiner rauen Seite jenseits der touristischen Trampelpfade, mit überraschenden Perspektiven und Einsichten, stets jedoch mit gedämpftem Ton – das sind Stumpfs Bilder. Er zeichnet einen improvisierten Garten auf dem Tempelhofer Feld, die heruntergekommene Hermannstraße mit verfallenen Läden, aber auch die Bahntrasse an der Karl-Liebknecht-Straße mit Elektroleitungen und Werbung auf der Bahnbrücke.

Der Künstler hat einen besonderen Blick auf die Stadt, die sich so in keinem Reiseführer zeigt. Durch seinen eigenwilligen Stil entsteht selbst im Verfall Schönheit. Hat man einige Grafiken von Stumpf gesehen, erkennt man sie alle auf Anhieb. Jeder Druck hat ein weißes Feld, auf dem in Rot der Titel steht sowie ein japanischer Schriftzug: Manga.

Japan und die Tradition der japanischen HolzschnitteUkiyo-e – haben es Robert Stumpf schon früh angetan. „Das Zeichnen liegt bei uns in der Familie. Mein Vater ist Architekt und ein begnadeter Zeichner. Die Rapidographen lagen bei uns überall in der Wohnung herum, ebenso Lineale und Rasterfolien“, erzählt er. „Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Vater in Paestum saß und die römischen Ruinen zeichnete. Ich habe sie heute noch, die sind ziemlich gut.“

Künstler Robert Stumpf in seiner Ausstellung im Gasag-Kunstraum.
Künstler Robert Stumpf in seiner Ausstellung im Gasag-Kunstraum.

© Kai-Uwe Heinrich

Inspiriert von Hokusai und Hiroshige

Das war 1975, da war er elf Jahre alt und lebte in München. Drei Jahre zuvor hatte er eine Ausstellung anlässlich der olympischen Spiele zu Weltkultur und moderner Kunst besucht. „Da sah ich zum ersten Mal Ukiyo-e, diese farbigen japanischen Holzschnitte eines Hiroshige oder Hokusai. Die haben mich völlig begeistert.“ Berühmt sind die „100 Ansichten von Edo“ von Utagawa Hiroshige, bunte Gebrauchsgrafik für jedermann. An ihnen orientierte sich Stumpf für seine Berlin-Serie.

Doch bis es so weit war, ging der junge Mann noch einige Umwege. Er bewarb sich an der Kunstakademie in München und absolvierte ein Praktikum in einer Schreinerei. „An der Akademie habe ich gefremdelt, also habe ich eine Schreinerlehre gemacht“, erzählt Stumpf. Ein kurzer Ausflug in die Theologie war ihm ebenfalls zu akademisch; also blieb er beim Schreinerhandwerk und der Holzbildhauerei.

Tempelhofer Feld. Auf dem Hochsitz in den Pioniergärten.
Tempelhofer Feld. Auf dem Hochsitz in den Pioniergärten.

© Illustration: Robert Stumpf

Berlin durchs Raster gesehen

2006 zog er nach Berlin – und hatte die Manga-Idee bereits im Kopf. „Mein Vater sagte damals: Warum machst du keine Berlin-Ansichten? Und das war es!“ Seine Liebe zu den Großmeistern des japanischen Holzschnittes gab ihm Orientierung. „Hokusai nannte seine Bilderbücher Manga; daher kommt der Begriff. Sie waren schwarzweiß gedruckt, das war preiswerter“, erklärt Stumpf. „Holzschnitte waren Massenkunst und durften nicht mehr als eine Schale Reis kosten. Was sie zeigten, waren Szenen aus dem Alltag: eine Welt in Bildern für ein analphabetisches Publikum.“ Der Künstler nahm sich vor, „100 Ansichten von Berlin“ zu zeichnen, mittlerweile ist er bei mehr als 120 Motiven angelangt. „Die 100 ist nur eine Metapher für ,viele‘“, sagt er.

Stumpfs Bilder sind fotorealistisch exakt, aber nicht plastisch wie die gemalten Werke der amerikanischen Fotorealisten. Ein wenig Plastizität gewinnt der Künstler mithilfe von Rasterfolien. „Rasterpunkte haben mich schon immer fasziniert, bei großen Bildern habe ich sie sogar einzeln gemalt.“

Raue Schönheit. Stumpf interessiert sich für Alltagsszenen, hier vor der Ankerklause in Kreuzberg.
Raue Schönheit. Stumpf interessiert sich für Alltagsszenen, hier vor der Ankerklause in Kreuzberg.

© Illustration: Robert Stumpf

"Es ist sehr anstrengend, wie Bergsteigen"

Eine enorme Geduldsarbeit, wie überhaupt jede Zeichnung ein hohes Maß an Geduld und Disziplin erfordert. An seinem Bestseller – dem Fernsehturm im Hochformat, das sich am japanischen Rollbildformat orientiert – zeichnete er mehr als zwei Wochen mit einem 0,18er-Rapidographen. Dabei legt er eine Folie über ein Foto und zeichnet das Bild nach, eine Sisyphusaufgabe. Ist das sogar meditativ? „So würde ich es nicht nennen“, sagt er und seufzt, „es ist sehr anstrengend, eher wie Bergsteigen: Man setzt einen Schritt vor den anderen und macht einfach weiter – zwei Wochen lang. Natürlich mit Unterbrechungen.“

Anschließend scannt Stumpf die Zeichnung und bearbeitet sie mit verschiedenen Lagen von Rasterfolien und einem sparsamen Einsatz von Farbe. Manchmal setzt er nur einen zarten Ton, bei anderen Motiven verwendet er mehrere. Die Passgenauigkeit sei am Computer heute natürlich viel höher als bei einem japanischen Farbholzschnitt, bei dem für jede Farbe ein Druckstock benutzt wurde. „Wenn das Ergebnis dann aus dem Drucker kommt, gibt es einen Kick.“ Robert Stumpf verkauft seine Drucke in unbegrenzter Auflage und wie T-Shirts in vier Größen: S, M, X und XL. S kostet fünf Euro, XL 50 Euro. Die Kunst muss erschwinglich bleiben – und er kann gut davon leben. Die Ausstellung im Kunstraum der Gasag ist seine erste große Schau, ansonsten ist er im Internet und in einigen Buchhandlungen und Designläden präsent.

Mancher Gasag-Kunde, der auf dem Weg zum Kassenautomaten den Kunstraum durchquert, bleibt fasziniert stehen vor den Berlin-Ansichten. Stumpf ist ein perfekter Botschafter seiner Wahlheimat. „Meine Bilder finden sich überall auf der Welt, in den USA, Australien und Europa“, sagt er nicht ohne Stolz. Und er ist gewillt, munter weiterzuzeichnen. Die Motive gehen ihm nicht aus.

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