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Sind die Hände sauber? In der Charité wurden Keime auf mehr als 20 getrennt in Brutkästen liegende Frühchen übertragen. Das ist lebensgefährlich für die Babys.

© dapd

Mangelnde Hygiene, Keimbefall, Betrug: Berliner Kliniken kommen nicht ins Reine

Überlastetes Personal, mangelnde Hygiene, falsche Abrechungen – es krankt im Gesundheitswesen. Die Berliner Patientenbeauftragte sieht den Fehler im System: Der Kostendruck hat Folgen, die allen schaden.

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Schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren ist das DRK-Klinikum Westend in den Fokus staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geraten. Vordergründig geht es um Abrechnungsbetrug. Laut Staatsanwaltschaft sollen hier extrem kleine Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm behandelt worden sein, wozu die Klinik nicht berechtigt gewesen sei. Denn das dürfen in der Regel nur Frühgeborenenstationen Level 1, die bestimmte Voraussetzungen für die Versorgung dieser sehr empfindlichen Patienten erfüllen. Die DRK-Klinik verfügt nur über ein Level-2-Frühgeborenenzentrum. Um das zu verschleiern, habe man die Kinder als „Level-2-Babys“ abgerechnet. Ob auch Kinder zu Schaden kamen, sollen die Ermittlungen klären.

Allerdings verweisen Experten darauf, dass es durchaus Gründe geben könne, ein extrem frühgeborenes Kind nicht aus einem Level-2- in ein Level-1-Zentrum zu verlegen. Zum Beispiel, weil ein Transport schädlich für es wäre, weil seine Eltern eine Verlegung nicht wünschen oder weil die Kapazitäten der höher eingestuften Frühchenstation ausgelastet sind. Allerdings sollten solche Nichtverlegungen mit einem Perinatalzentrum Level 1 abgestimmt werden. Deshalb müssen nun die Fälle einzeln untersucht werden.

Dem DRK-Klinikum wird nicht zum ersten Mal Abrechnungsbetrug vorgeworfen. Bereits im Frühjahr dieses Jahres war gegen Manager des Krankenhauses Anklage erhoben worden, weil Assistenzärzte in den Jahren 2009 und 2010 unberechtigt ambulante Facharztleistungen erbracht haben sollen.

Ähnliches bekommt auch Berlins Patientenbeauftragte Karin Stötzner immer wieder zu hören: „Auf der Rechnung steht, dass mich der Chefarzt behandelt hat, aber der war nicht ein einziges Mal bei mir.“ Das sei sozusagen der Klassiker, sagen die Krankenkassen – oft könne für eine vom Chefarzt durchgeführte Operation mehr abgerechnet werden.

Fast noch öfter berichten Patienten über überfordertes Personal und mangelnde Hygiene. „Zumindest nehmen es viele so wahr, dass der enorme Druck durch knappes Personal dazu führt, dass sich Ärzte und Schwestern nicht genug Zeit zum Beispiel für Desinfektion nehmen. Der Druck ist auch bei Reinigungskräften spürbar“, sagt Karin Stötzner.

Dem Tagesspiegel liegt der Beschwerdebrief einer Frau vor, die Anfang September wegen eines Darminfekts Patientin am Vivantes-Klinikum Friedrichshain war. Wie viele andere wurde sie ab Sonntagmorgen auf die Darmspiegelung am Montag vorbereitet – durch Trinken von bis zu vier Litern einer abführenden Flüssigkeit. „Der Ansturm auf die Toiletten begann am frühen Nachmittag“, berichtete sie. Auf der Station hätten nur wenige Zimmer eigene Toiletten gehabt, daher mussten die Sanitärzellen auf dem Flur, die Toilette und Dusche enthalten, genutzt werden – von Frauen und Männern gemeinsam.

„Im Laufe des Nachmittags wurden die hygienischen Zustände zunehmend katastrophal“ schrieb die Patientin, zumal die Toiletten nur einmal am Tag gereinigt werden. „Meine Fantasie reichte nicht aus, mir solche Zustände in einem Krankenhaus des 21. Jahrhunderts vorzustellen.“

"Es ist ein Systemfehler"

Solche Zustände bleiben hoffentlich eine Ausnahme, Infektionen mit Krankenhauskeimen, die beispielsweise gegen das Antibiotikum Methicillin resistent sind (MRSA), gehören hingegen fast schon zum Alltag. „Und hier geht es dann nicht nur um die Behandlung im Krankenhaus, sondern die Patienten haben zunehmend auch Probleme in der Nachsorge“, sagt die Patientenbeauftragte Karin Stötzner. Nicht jeder niedergelassene Arzt behandele dann die offenen Wunden, die nicht mehr heilen.

Dass selbst auf der Frühchenstation der Charité, wo ganz besonders scharfe Hygienevorschriften gelten, die Verbreitung von Keimen nicht verhindert werden konnte, hat viele überrascht. Auch wenn sich dabei um „normale“ Keime handelte und bisher glücklicherweise kein Kind daran starb – die Frage, wie dieser Keim über Tage hinweg auf knapp zwei Dutzend getrennt in Inkubatoren liegende Frühgeborene übertragen werden konnte, ist immer noch ungeklärt und beschäftigt nicht nur die Ermittler. Zumal in der Charité schon vor zwei Jahren auf gleicher Station ein MRSA-Ausbruch stattfand. Der wurde zwar an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet, die Öffentlichkeit erfuhr nichts davon.

Nach Tagesspiegel-Recherchen waren auch damals Frühgeborene noch Tage nach Bekanntwerden der ersten Infektionen angesteckt worden. Eine Mutter, die Zwillinge hatte, erzählt, dass sie Mundschutz, Handschuhe und Krankenhauskittel wechseln musste, bevor sie von einem zum anderen Kind ging. „Das fand ich ja richtig, staunte nur, dass sich Ärzte und Schwestern nicht daran hielten“, sagt sie.

Aus dem Vorfall mit den MRSA-Keimen hat die Charité gelernt. So werden seitdem nicht nur sämtliche dort behandelte Kinder auf eine Besiedlung mit dem üblicherweise in den Nasenschleimhäuten vorkommenden Keimen geprüft, sondern auch das Personal und die Eltern.

Doch die Frage bleibt, wieso das Universitätsklinikum in solchen Fällen so schlecht kommuniziert. Ein Vater berichtet, er habe von den Ärzten erst Auskunft über die MRSA-Infektion und eventuelle Komplikationen erhalten, als er mit einer Klage drohte. Ein befreundeter Arzt habe auch beobachtet, dass Reinigungskräfte mit dem Wischwasser für die Fußböden auch andere Gegenstände säuberten.

In einem Interview mit dem Tagesspiegel hatte Charité-Chef Karl Max Einhäupl solche Vorwürfe mit dem Argument zurückgewiesen, dass auch in der externen für die Reinigung zuständigen Firma CFM ausschließlich gut eingewiesene Fachkräfte eingesetzt würden. Ehemalige Mitarbeiter der CFM bestreiten dies. Die Vorgaben seien nicht zu schaffen, eine Pflegekraft müsse jeden Tag 24 Zimmer auf einer Station reinigen, erzählen sie. Die Fluktuation sei groß, ständig müssten Leute neu eingearbeitet werden, nur wenige blieben länger.

„Es ist ein Systemfehler“, sagt Stötzner. „Ertragsziele, Leistungs- und Abrechnungsvorgaben verhindern, dass medizinisch und pflegerisch notwendiges Personal und Ressourcen auch wirklich eingesetzt werden.“ Deshalb müsse es mehr gesellschaftlichen Druck geben – auch, um die vielen verantwortungsvollen Ärzte, Schwestern, Pfleger und Hygieniker, die sich täglich um Menschen kümmern, zu unterstützen, sagt Stötzner. „Ein solcher Druck entsteht zum Glück durch die öffentliche Diskussion von Vorkommnissen wie in Bremen und in der Charité.“

Bisher geheime Daten zur Hygiene in Berliner Kliniken und Frühchenstationen finden Sie hier.

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