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Berlin: Mann lässt kaufen

Die Personal Shopperin Mirjam Santen hat turbulente Wochen hinter sich. Von Konsumflaute war bei ihren Kunden nichts zu spüren

Weihnachtsphobien gegen Warenhäuser entwickelt? Trotzdem wieder hektisch Pakete gepackt, die Hacken schief gelaufen, um Humidore geboxt? Erlösung verheißt der „Personal Shopper“ – ein recht junges Berufsbild amerikanischer Abstammung. Mirjam Santen ist eine von ihnen, hinter ihr liegt die turbulenteste Zeit des Jahres: in der sie Geschenke besorgte für ihre Kunden. Und nebenbei zu einem Seismographen wurde für die Stimmung der Verbraucher. Einkäufe mit orgiastischen Zügen „passen nicht mehr zur Konjunktur, die Leute überlegen mehr, wofür sie Geld ausgeben“ – auch die, die Geld haben. Und wenn die Leute so nachdachten, wie sie ihren Anschaffungen System verleihen könnten, kamen sie immer öfter auf die blonde Rheinländerin im Grunewald zu.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist, dass Mirjam Santen keinem Geschäft angegliedert ist. Sie arbeitet frei, sitzt in ihrem roten Sessel mit der Gelassenheit, die nur die Unabhängigkeit verleiht, schlägt ihre Beine übereinander und holt aus, das Wesen des Personal Shoppers zu erklären.

So ein Personal Shopper muss sich natürlich auskennen. In der verzweigten Warenwelt, aber vor allem in der Psyche der Menschen, die er betreut. Je genauer er die Person und ihr Umfeld kennt, desto zielstrebiger kann er nach den richtigen Dingen greifen, meistens Kleidung, denn dafür ist Santen Expertin. So liegt beim „Personal Shopper“ die Betonung auf dem ersten Wort. „Wir machen hier keine psychologischen Analysen“, sagt sie, „aber es ist natürlich ein Vertrauensverhältnis.“

Dass Berlin in diesem Sinne Dienstleistungsdiaspora war, hat sie gleich gesehen, als sie sich vor zwei Jahren selbständig machte. Anders als in München, Düsseldorf oder Frankfurt war sie hier die erste im Rennen um die Kunden. Und dann hat sie im Grunewald dieses gelbe, freundliche Haus gesehen. Was einmal die Bibliothek eines Professors war, wo die Holztäfelung hinter Büchern verschwand, dort hängen heute Pullover, Gürtel, Taschen, Hosen als Muster und Farbbeispiele. Die ersten Gespräche mit den Kunden führt sie hier bei „Kaffee, Champagner oder was sonst gerade passt“, und legt eine Kartei an. Dahinein kommen zuerst die Proportionen. Die sind wichtig. Bei ihren Proportionen fangen die ersten an, sich verletzlich zu fühlen. Sie notiert eine modische Richtung: „avantgardistisch, verspielt, sportlich“. Und sie spricht über die Situationen, in denen die Kleidung getragen werden soll.

Mirjam Santen zieht dann aus, die Garderobe zu besorgen, in Berlin und anderswo, bringt alles in ihr Büro, und hinter einem weißen Paravent probieren die Kunden, was sie gefunden hat. Sie seien froh, dass hier statt der Warenhausatmosphäre „neutrales Terrain“ herrsche. Ihre Beratungsarbeit beginnt manchmal bei ganz einfachen Dingen. „Viele Menschen tragen Schwarz – aber den wenigsten steht Schwarz.“ Diese Lösung, die keine ist, verrate viel über die Unsicherheit des Trägers, der sich hinter der Neutralität der Farbe verstecke. Mirjam Santen kann so etwas ihren Kunden sagen, denn die Idealbeziehung eines Kunden zu seinem Personal Shopper ist dauerhaft. Sie liegt irgendwo zwischen unabhängiger Beraterin, Vertrauter und Freundin.

Neulich rief eine Personalagentur bei ihr an, die hatten eine hochqualifizierte Mitarbeiterin – nur bekam die ihr Outfit nicht unter Kontrolle. Ein Fall für Santen. Vielleicht, denkt man da, bemühen die Menschen die Shopperin ja doch aus den gleichen Motiven, aus denen sie auch Schwarz tragen: Sie wollen nichts falsch machen. Nur sind die Methoden einer Mirjam Santen weitaus differenzierter. Sie berät gezielt für ein Bewerbungsgespräch, für bestimmte soziale Situationen, Branchen oder Kreise. Jemand ist unerfahren? Man will dem Chef etwas schenken? Santen kennt die Codes.

Und natürlich kennt sie die Quellen für ihre Einkäufe. Die gelernte Textilwirtin führte acht Jahre lang ein Modegeschäft in Düsseldorf, hat als Einkäuferin gearbeitet und lässt den Kontakt zu Modefirmen nicht abreißen. So kann sie auch schon mal Größen oder Stoffe besorgen, die in Berlin in keinem Geschäft hängen. Diese Fachkenntnis ist wichtig, sagt die 45-Jährige. Denn Erledigungen machen kann jeder. Der Personal Shopper dagegen muss umfassend begreifen, welche Person er vor sich hat.

Und inzwischen kommen auch die Männer zu ihr – fast nur auf Empfehlung. Dabei ist diese Dienstleistung wohl gerade für Männer interessant: Können sie hier ihre Einkaufsphobie doch mit der Kunst des Delegierens verbinden.

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