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Berlin: Margrit Falck (Geb. 1942)

„Dann werd’ ich aus Prinzip Professor.“

Im Grunde ging es um die Revolution. Die Modernisierung der Verwaltung erlaubte keinen geringeren Aufwand. Unter der Überschrift „Geschäftsprozessmanagement in der öffentlichen Verwaltung“ forschte die Hochschullehrerin Margrit Falck am Umsturz. Für Außenstehende klingt so etwas trocken und langweilig. Deswegen war die Abmachung mit Kostja: Jeder erzählt nur so viel von der Arbeit, wie der andere auch wissen will. Die beiden wollten allerdings unglaublich viel voneinander wissen.

Sie war ihm schon Mitte der achtziger Jahre aufgefallen, als sie im Kreis der ersten jüdischen Nachkriegsgeneration in Ost-Berlin auftauchte. Sie sang voller Inbrunst jiddische Lieder, die sie sich selbst beigebracht hatte. Ihn beachtete sie kaum. Sie hatte schon zwei Kinder, brauchte viel Zeit für die Forschung, und dann war da noch der Drang, die jüdischen Wurzeln zu ergründen, die der Vater hinterlassen hatte. Über die war nie viel geredet worden; aber sie waren der Grund, weshalb Margrit ihre ersten drei Lebensjahre in einem Keller in Pankow zugebracht hatte. In Spreizhosengips, um den angeborenen Hüftschaden zu korrigieren, und fast nur mit den Eltern.

So ein Lebensanfang hinterlässt Spuren. Er braucht Strategien, die Monotonie und körperliche Beeinträchtigung zu kompensieren. Es gab ein Spiel, später auf dem Hof, da ging es darum, sich gegenseitig mit dem Ball zu treffen. Wer allerdings Städte, Länder, Berge nennen konnte mit möglichst vielen Silben, der durfte sich umso weiter vom Ballwerfer entfernen und erhöhte so seine Chance, nicht getroffen zu werden. Margrit kannte die längsten Namen: Popocatepetl, Guadalajara. Und dann machte der Vater sie schon früh zu seiner Assistentin, um in alle möglichen Kisten Radios einzubauen. Margrit hielt das Potentiometer, wenn er die Frequenz justierte. In solchen Kisten lagen auch ihre Puppensachen.

Aus Schulzeiten ist folgendes Gespräch kolportiert. „Sag mal, Mutti, können Frauen auch Professor werden?“ – „Im Prinzip ja.“ – „Dann werd’ ich aus Prinzip Professor.“

Den Weg zu diesem Titel wollte sie auf den Spuren ihres Vorbilds Marie Curie beschreiten: Ein Physik-Studium in Frankreich! Der DDR-Fremdsprachen- Lehrplan befahl ihr Russisch, doch so sprach man ja nicht an der Sorbonne. Margrit fuhr also jede Woche zum Sprachkurs ins Maison de France in West-Berlin. Nach dem Abitur sollte es losgehen. Die Eltern hatten für den Sommer den FDGB-Ferienplatz, deshalb war ausgemacht: Zuerst fahren alle an die Ostsee, danach geht es an die Sorbonne. Es war der August 1961, der Weg nach Frankreich wurde während des Urlaubs vermauert.

Margrit studierte Physik also doch in Berlin, was nicht die einzige Abweichung vom Vorbild bleiben sollte. Schon ihre erste Stelle an der Akademie der Wissenschaften befriedigte ihren Erkundungsdrang nicht. Sie wechselte zur Informatik und ging ans medizinische Forschungszentrum, lehrte und promovierte später an der Humboldt-Universität über Softwaretechnologie und Programmiersprachen. Hier wollte sie „Professor“ werden.

Die Kinder, die sie mit Peter bekommen hatte, mussten sich ihre Aufmerksamkeit erkämpfen. Sie war keine Rabenmutter, aber die Tür zu ihrem Arbeitszimmer blieb öfter zu. Ihr beruflicher Erfolg entzweite die Ehegatten. Margrit fuhr jetzt allein mit den Kindern im Sommer nach Bulgarien zelten.

Sie habilitierte, natürlich mit Bestnote. Die Berufung war im Grunde eine Formalie. Doch sie hatte kein SED-Parteibuch, ein plötzlich aufgetauchter Konkurrent sollte geeigneter sein als sie. Schließlich entschied sich ein Gremium – ganz untypisch für die DDR – in demokratischer Abstimmung doch für Margrit Falck. Im Juni 1989 bekam sie ihre Dozentenstelle und war endlich Professorin. Doch nichtmal ein Jahr später wurde ihr Institut geschlossen, „abgewickelt“ nannte man das damals. Ehemalige Kollegen warfen ihr jetzt Systemnähe vor. Zum Glück hatte sie da schon Kostja.

Er war zufällig auf ihrem 46. Geburtstag aufgetaucht, und als er gegen drei Uhr früh mit allen anderen aufbrechen wollte, sagte sie: „Du bleibst!“

Er blieb dann gleich für immer. Dabei hatten beide überhaupt keine Zeit für eine Beziehung, schließlich arbeiteten sie am liebsten. Also war es ein Experiment. Beim Spaziergang in Buckow besprachen sie die Regeln. Keiner mischt sich ungefragt in die Arbeit des anderen ein. Jeder erzählt nur so viel, dass er den anderen nicht langweilt. Ausgemachte Freizeit bleibt Freizeit. Das Experiment war erfolgreich. „Wahnwitzig war die Zeit mit ihr“, sagt Kostja, „das Beste, was mir passieren konnte.“

Das mit der dauerhaften Professorenstelle klappte auch recht bald. Stetig forschte Margrit an der Verwaltungsrevolution, es ging um „partizipative Systemgestaltung und Electronic Government“, sie beriet das Innenministerium. Auch die anstehende Pensionierung hielt ihren Tatendrang nicht auf. Erst als ihr klar wurde, dass der Krebs sie besiegen würde, beschloss Margrit Falck, loszulassen. Es war ein Entschluss, so wie jener, Professorin werden zu wollen. Diesmal allerdings nicht „aus Prinzip“. Veronika de Haas

Veronika de Haas

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