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Berlin: Marmor, Stein und Eisen bricht – am antiken Tor von Milet

Das prunkvolle Bauwerk im Pergamonmuseum ist von einem Netz verhüllt Es muss dringend saniert werden, aber einen Zeitplan gibt es noch nicht

Durch die drei Torbögen fluteten einst die Käufer und Händler auf den Marktplatz von Milet – wer seine Augen schließt, hört förmlich das Trappeln und Klappern auf dem Fußbodengestein im Pergamonmuseum. Staunend stehen wir vor diesem Marmorschatz, bewundern seine riesigen Ausmaße: 29 Meter breit, 17 Meter hoch, 1500 Tonnen schwer. Das haushohe Meisterwerk prunkvoller Fassaden-Architektur entstand um 120 n. Chr. in Milet, der reichen Handelsstadt an der Westküste Kleinasiens. Das Markttor ist also über 1880 Jahre alt, prunkvoll mit seinem üppigen Bauzierrat, den übereinander stehenden Säulen, den Kapitellen, Pilastern und dem Girlandenfries, die dem wuchtigen Bau Harmonie und einen Eindruck von Leichtigkeit geben.

Und dennoch: Die vollkommene Schönheit versteckt sich hinter einem braun-grauen Netz, das von der Decke bis zum Fußboden reicht, das Tor schimmert nurmehr schemenhaft hindurch. Es wirkt wie gefangen. Offensichtlich soll der Besucher vor herabfallenden Teilen geschützt werden. Aber niemand arbeitet auf dem Gerüst, und eine Tafel klärt uns auf: Das Tor muss repariert werden, es gibt desolate Stellen und zentimeterstarke Risse, also Alterungsschäden, die eiserne Tragkonstruktion zeigt Korrosionserscheinungen.

Volker Kästner, Leiter des Bereichs Architektur und Kustos der Antikensammlung, erzählt uns, wie das Tor wurde, was es heute ist: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Trümmer des Bauwerks in Milet, einer bekannten Ausgrabungsstätte in der Türkei, gefunden und mit Genehmigung der dortigen Behörden stückweis’ nach Berlin gebracht worden. Hier wurde der Sockel rekonstruiert und darauf die Torfront wiedererrichtet. Damals hat man das Gebälk horizontal und zusätzlich alle Säulen durchbohrt, also ausgehöhlt und ein Eisengerüst hineingelegt. Das Marmor-Markttor ist sozusagen auf einem Eisengerüst aufgefädelt. Das Eisen reagiert anders als Marmor, zum Beispiel auf Nässe. Während des Zweiten Weltkriegs war in den Saal eine Bombe geflogen, es gab Zerstörungen, längere Zeit hatte das Tor keinen Schutz durch ein Dach, die eindringende Feuchtigkeit verursachte Korrosionsschäden. Die verschiedenen, bei der Restaurierung verwendeten Materialien „arbeiten“, wie man sagt. So gibt es an mehreren Stellen Risse, es werden keine tonnenschwere Stücke herunterfallen, aber sehr wohl kleine Splitter, deshalb das Netz. „Es wird uns lange begleiten“, sagt der Kurator.

Um die Standsicherheit des Tores provisorisch wiederherzustellen und den Substanzverlust einzudämmen, müssen besonders gefährdete Teile abgebaut werden, unter anderem die drei Giebel des Obergeschosses. „In diesem Zusammenhang müssen wir die gesamte Front des Markttores wegen der Staubentwicklung mit einer durchsichtigen Kunststoffwand gegen das übrige Museum abschotten und eine Möglichkeit finden, wie wir große Teile – zwei, drei Meter lang, ein, zwei Tonnen schwer – aus dem Gebäude herausbekommen“, sagt Volker Kästner und weiß auch schon, wie: durch ein Loch in der Südwand des Saales. „Und dann wollen wir Flexibilität ’reinbringen, das Tor vom Gebäude entkoppeln“. Das heißt, an den Gelenkstellen werden mechanische Elemente eingebaut, „die ein gewisses Spiel zulassen“. Überdies muss der Bau gereinigt werden, damit man den Marmor wieder in seiner ganzen Schönheit sieht, und schließlich sollen so viel wie möglich reversible Konstruktionen eingeführt werden, also Teile, die man ohne große Probleme auseinander nehmen kann.

Ein Jahrhundertwerk? Nicht ganz. Aber komplizierter und teurer als die Restaurierung des Pergamonaltars, die hat 3,5 Millionen Euro gekostet – ein Klacks gegen die 500 Millionen, die für Sanierung und Umbau des ganzen Pergamonmuseums errechnet worden sind. Vielleicht dauert es sieben Jahre, im Rahmen der Rekonstruktion des gesamten Pergamonmuseums, schätzt Kästner. Als erste Notmaßnahme werden besonders gefährdete Teile in Sicherheit gebracht. Übrigens soll das Museum während der Umbauten geöffnet bleiben, nur Teilbereiche werden gesperrt.

Für Volker Kästner, der seit 21 Jahren zwischen den steinernen Zeugen antiker Baukunst waltet, ist die Markttor-Reparatur nach der Restaurierung des Fries’ vom Pergamonaltar die nächste Herausforderung. Die erfahrene süddeutsche Restaurierungsfirma der Gebrüder Pfanner hat bereits gute Vorarbeit geleistet, 3-D-Modelle entworfen, einen Steinkatalog samt Schadenskartierung zusammengestellt, mit Ultraschall, Radar, Röntgen und Endoskop gearbeitet, Marmor, Mörtel und Stahl analysiert. „Jetzt brauchen wir Bildhauer und Steinmetze, die Erfahrung im Umgang mit antiken Bauten haben“, sagt Volker Kästner und zögert nicht, unsere Frage nach den hauseigenen Restauratoren so zu beantworten: „Es ist skurril. Wir sind das Museum mit den umfangreichsten Steinbeständen in Deutschland überhaupt und haben gerade mal einen Steinrestaurator.“

Es kann also dauern. Das Problem beim Pergamonmuseum, dem Herz der Museumsinsel, ist seine Fülle: „Im Bodemuseum hat man alles ausgeräumt und konnte mit dem Bauen in die Vollen gehen. Das Neue Museum ist leer. Aber hier operieren wir gewissermaßen am lebenden Objekt. Das macht alles so aufwändig – und so teuer.“

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