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Berlin: Martin Ripkens (Geb. 1934)

„Ach Kerl, ich krieg dich nicht aus meinem Kopf“

Eine Liebe wie andere auch“, Klappe, die erste. Was wirklich geschah: Sommer 1957, Düsseldorf, Hans und Martin laufen sich über den Weg, verlieben sich, für einen Moment, fürs ganze Leben. Drei Tage und Nächte später zieht Martin bei Hans ein, in eine Einzimmerwohnung in Düsseldorf. Der Hauswirt wirft sie nicht hinaus, sondern erhöht die Miete. „Ehepaare müssten schließlich auch mehr zahlen.“ Hans ist Redakteur in einem linken Wochenblatt, Martin Lektor in einem katholischen Verlag. Als sie ein Paar werden, verlieren beide ihren Arbeitsplatz. Das ist ein Glück, denn nun können sie tun, was sie wollen: Filmkritiker werden. Martin verteidigt in einem aufsehenerregenden Artikel „Das Schweigen“ von Ingmar Bergmann, Hans setzt in der Auswahlkommission der Berliner Filmfestspiele Fassbinders Debüt „Die Liebe ist kälter als der Tod“ durch. Man weiß nie, wozu es gut ist, dass man Pech hat.

Klappe, die zweite. Sie wollen selbst Filme machen. „Stenogramme“, ein Kurzfilm über Frauen im Büro. Das Geld kommt von der FLN, der Algerischen Befreiungsfront, für die sie gelegentlich Kurierdienste erledigen. Der Film floppt.

Eine Dokumentation über Schwulenbilder fürs Fernsehen, „Wie geht ein Mann?“ Ein Bilderreigen: Stechschritt der Soldaten, Schaukelgang der Cowboys, tänzelnde Boxer. „Und dann fällt das Wort schwul, mehrere Male sogar. Große Aufregung im ZDF, das sei dem Zuschauer nicht zumutbar.“ Doch, beharren die beiden, „schwul“ ist kein Schimpfwort mehr.

Eine Menge Glückwünsche und Beschimpfungen treffen beim Sender ein, aber wichtiger: Die Einschaltquote stimmt.

„Eine Liebe wie andere auch“, als Dokumentarfilm geplant, als Spielfilm gedreht. Bei der Premiere gibt es Buhrufe der vorwiegend schwulen Zuschauer. So normal will man sich gar nicht sehen. Nichts als Kummer und Freude hat man, tröstet die gemeinsame Freundin Constanze.

Klappe, die dritte. Karriere. Leo Kirch wird auf die Filmkritiker aufmerksam. Der Job ein Traum: Reisen in alle Welt, Filme ansehen. Die besten Filme sind oft die günstigsten, da treffen sich ihre Interessen und die des Medienmoguls. Kirch verlangt Familienrabatt für ihre Arbeit – „ihr seid ein Paar“ – und bekommt ihn. Die Wohnungssuche in München gestaltet sich noch schwieriger als die Honorarverhandlungen: „Nein, nicht zwei Herrn. Verstehn’s mich bitte nicht falsch, es ist nur der Reinlichkeit wegen.“

30 Jahre arbeiten sie als „Trüffelschweine“ für Kirch. „Der besondere Film“, Das Fernsehen scheut sich noch nicht, Szabó, Bresson, Pasolini zur besten Sendezeit zu bringen, und das Publikum ist dankbar für die Zumutung.

Irgendwann werden die Filme nicht mehr handverlesen, sondern im Paket verkauft. Da ist Schluss. Was sagt Constanze? Man kann sich ruhig mal verlaufen im Leben, es gibt eh nur einen Ausgang.

Rückblende: Kindheit. Martin ist immer schon anders. Einer, der für Jungs schwärmt. Ein Träumer. Linkshänder, der selbst den Hitlergruß in der Schule mit links erledigt, was den Klassenlehrer erbleichen lässt. Das Unverständnis des Vaters, als er von der Liebe des Sohnes zu Männern erfährt: „Junge, das muss man doch heilen können.“

Klappe, die vierte. Literatur ist mein eigentliches Zuhause. „Die Reise ins Bücherland“, zehn Jahre ist er alt, als seine Patentante ihm das Buch schenkt, das zum wichtigsten Reiseführer seines Lebens wird. Hans teilt seine Liebe, gemeinsam mit Martin sammelt er Bücher, die beiden schrieben Bücher, für Erwachsene, für Kinder und für aufmüpfige Mars-Mäuse: „Ohne Blumen, ohne Träume, ohne schöne Purzelbäume, ohne Käse, ohne Speck, hat das Leben keinen Zweck.“

Klappe, die fünfte. Melodram: Ewige Liebe. „Ach Kerl, ich krieg dich nicht aus meinem Kopf.“ Gibt es etwas Egoistischeres als zwei Menschen, die sich lieben? Im Berlin der 80er ist Treue ein verpöntes Wort. Treue ist nicht im Unterleib angesiedelt, da sind sie sich einig. „Dem Tier, das in uns schläft, nicht die Natur austreiben!“ Die Beziehung ist kein Knast, jeder kann sich nehmen, was er will. „Aber wir haben eine Zeit ausgemacht, zu der man wieder zu Hause sein musste. So spießig waren wir schon.“

Wie lebt ein schwules Paar? Wie andere auch. Spießigkeit ist kein Privileg der Heteros. Und Schwulsein keine Lebensleistung.

„Sex hat uns nie entzweit, Geld, Gott sei Dank, auch nicht, aber wie die Welt einzurichten sei und wie sie denn überhaupt aussieht, das bringt uns immer noch zum Glühen, tagelang.“ Wie wunderbar kann man sich in den 80ern über Gott und die Welt streiten. „Hinterher, und das nenne ich Glück, liegen wir lange schweigend nebeneinander.“ Es gibt ein untrügliches Zeichen, dass du jemanden wirklich liebst, liest Martin bei Michel Tournier: „Wenn sein Gesicht mehr physische Begierde in dir erweckt als irgendein anderer Teil seines Körpers.“

Eine Liebe wie andere auch. Eine Liebe wie im Märchen: Verlässt du mich nicht, verlass ich dich nicht. Es ist ein ganz anderes Leben, wenn man sich so geliebt weiß. Es ist ein ganz anderes Sterben. „Wir wissen, dass unsere Beziehung schmerzlich endet, dass uns ein dritter Mann trennen wird, vielleicht kein Detlev, Juan oder Thomas, aber gewiss der Tod.“ Klappe, Finis. Das gemeinsame Grab. Einer muss vorgehen. „Du bist mein Tag und meine Nacht … Geliebter.“ Gregor Eisenhauer

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