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Berlin: Martin Schenkel: Diplomatie kann grausam sein

Frank Castorf muss ihn ziemlich grotesk gefunden haben, diesen jungen Schweizer, der Nietzsche vorspricht und dabei mit einer echten Pistole herumfuchtelt. Auf die Volksbühne hat Castorf Martin Schenkel jedenfalls nicht gelassen.

Frank Castorf muss ihn ziemlich grotesk gefunden haben, diesen jungen Schweizer, der Nietzsche vorspricht und dabei mit einer echten Pistole herumfuchtelt. Auf die Volksbühne hat Castorf Martin Schenkel jedenfalls nicht gelassen. Der steckte das weg, so wie die zahllosen anderen vergeigten Vorsprechen. In der Schweiz dagegen hat es für den Baseler schon immer geklappt - bei einem Workshop für das Musical "Linie 1" erlebte Martin Schenkel sein schauspielerisches Coming Out als Berliner Penner. Das brachte ihm über Umwege ein Engagement am Karlsruher Theater. "Nicht so weit weg von der Schweiz", sagt Schenkel und schubbert in seinem Hotelsessel hin und her. Das muss man sich mal vorstellen: Wenn Martin Schenkel morgens aufwacht und den Vorhang zur Seite schiebt, blickt er nicht auf einen grauen, verregneten Hinterhof mit Mülltonnen, sondern auf Luis Trenkers Lieblingsberg, das strahlende Matterhorn. "Der schönste Berg überhaupt", meint er. Doch Schenkel muss samt Frau und Kind bald weg vom Berg. Nach Zürich. Wegen der Musik. Seiner eigentlichen Leidenschaft.

In seiner Heimat ist Martin Schenkel ein Star. "Alle 20 Minuten", sagt er, "spricht mich jemand an." Das ist Schweizer Präzision. Ein Star ist er deswegen, weil er in einer Fernsehserie mitgespielt hat. "Fascht ä Familie" läuft auch hier, aber nur auf Super RTL. Ein Bayer mit heftigem Dialekt hat ihn synchronisiert. Auch seine Platten kommen in Basel, Bern und Zürich bestens an. Der Popstar hüstelt. "Bisschen erkältet", krächzt der Schenkel. Mit seinem gitarrenlastigen Poprock könnte er es auch hier schaffen, noch dazu sieht er aus wie ein gefährlicher, zerrupfter Rabe. Leute, die bereits am frühen Morgen so aussehen, können es abends weit bringen. Leuten, die nur wegen einer Green Card in Las Vegas heiraten und dann doch keine Arbeitserlaubnis kriegen, weil sie einen formalen Fehler gemacht haben, gebührt großer Erfolg. Allein schon für die gekreuzten Finger hinter dem Rücken.

Eigentlich sollte das ein PR-Termin mit Mord und Totschlag und hektischem Gefrage werden, eine Platten-Taufe für das neue Album "My own way" (übrigens produziert von dem BAP-Mann Major) - Fotografen sollten kommen, Kamerateams und so weiter, aber jetzt sitzen wir ziemlich alleine und ziemlich entspannt im Hotel. Denn, Tusch!, Shawne Borer-Fielding sollte anwesend sein, um der Platte ihren Segen zu geben. Aber Frau Borer-Fielding muss sich dieser Tage medial etwas zurückhalten, weil ihr Mann in einer Fernseh-Talkshow angedeutet hatte, Klaus Meine könne in einer eventuellen Eigenschaft als Homosexueller "Wind of Change" gepfiffen haben. Deswegen bekommt Martin Schenkel jetzt nicht die Resonanz, die er sich erhofft hatte. Das ist doch unfair. Nur weil Shawne nicht dabei sein darf. "Diese verklemmten Schweizer", kommentiert Schenkel, der die Talkshow am Fernsehen verfolgt hat. "Das ist typisch. Ich sollte vielleicht mal beim Bundesrat vorsprechen." Dann erklärt er, dass die Schweizer, sogar die Eidgenossen aus dem deutschsprachigen Teil, sich untereinander nur mühsam verstehen. Ganz schwierig sei es mit dem Oberwallis und Basel. "Da willst du deiner Frau mal was Nettes sagen, und was kommt zurück", fragt Schenkel. "Sei nicht so frech."

Vor zwei Jahren hat man dem damals 30 Jahre alten Sänger und Schauspieler einen Tumor aus dem Gehirn geschnitten. Heute geht es ihm wieder gut, und Martin Schenkel redet ohne Umschweife über die Krankheit, die ihn so heftig niedergestreckt hat. An seinen Texten kann man das merken, wenn seine englischen Verse dann und wann ins leicht Melodramatische abrutschen und er die Liebe zu Frau und Sohn mit einer gewissen Verzweiflung besingt.

Draußen liegt ein feiner Novembernieselregen in der Luft, auf den Martin Schenkel gerade guckt. Der Hotel-Kamin ist leider ausgeschaltet, ansonsten könnten wir einfach hier sitzen bleiben. Das Interview ist aber vorbei, und jetzt kommen nur noch Leute vom Radio, da wäre Shawne Borer-Fielding ja sowieso nicht sichtbar gewesen. Mit Martin Schenkel könnte man problemlos einen Nachmittag in der Sauna liegen. Sogar mit kalten Güssen.

Esther Kogelboom

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