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Unzählige tote Fische treiben im flachen Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder, hier in Genschmar in Brandenburg.

© dpa/Patrick Pleul

Update

Massenhaftes Fischsterben in Brandenburg: Wohl große Mengen von Chemie-Abfällen in der Oder – viele gelöste Salze gefunden

Die Ursache für das Fischsterben in der Oder ist immer noch unklar. Die Belastung mit Quecksilber ist hoch, doch es gibt auch andere Messungen. Polen reagiert.

Das Fischsterben in der Oder beunruhigt seit Tagen die Menschen in Brandenburg an der Grenze zu Polen. Tausende tote Fische wurden in dem Fluss entdeckt, ein Teil davon auf Höhe der Stadt Frankfurt (Oder) und umliegender Orte. Die Ursache ist noch völlig unklar – es gibt Berichte über Chemie-Abfälle, erhöhte Quecksilber-Konzentrationen und gelöste Salze.

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Nach Aussage von Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki wurde das Massensterben offenbar durch die Einleitung von Chemie-Abfällen ausgelöst. „Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen“, sagte Morawiecki in einer am Freitag auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft.

Morawiecki betonte, alle zuständigen Behörden seien in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Jeden Tag werde Wasser aus dem Fluss entnommen, auch das Veterinäramt und die Gesundheitsbehörde seien mit einbezogen. „Die wichtigste Aufgabe ist es aber jetzt, den Täter, den Giftmischer zu finden.“ Dies sei kein gewöhnliches Verbrechen, da der Schaden auf Jahre bleiben könne, so Polens Regierungschef weiter. „Wir werden nicht ruhen, bis die Schuldigen hart bestraft sind.“

Weiter schrieb er: „Man möchte vor Wut nur schreien“. Morawiecki zog noch am Freitag personelle Konsequenzen: Weil sie zu langsam auf das Fischsterben in der Oder reagiert haben sollen, entließ er zwei Spitzenbeamte. Der Chef der Wasserbehörde und der Leiter der Umweltbehörde müssten ihre Ämter mit sofortiger Wirkung räumen, schrieb Morawiecki bei Twitter.

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„Ich teile die Ängste und die Empörung über die Vergiftung der Oder. Diese Situation konnte man auf keine Weise vorhersehen, aber die Reaktion der zuständigen Behörden hätte schneller kommen müssen“, schrieb der Regierungschef weiter. In Polen wie in Deutschland gibt es viel Kritik am Umgang seiner Regierung und der polnischen Behörden mit der Situation.

Polen: Untersuchungsergebnisse zu toten Fischen frühestens Sonntag

„Die polnische Seite hat seit dem 26. Juli Informationen über die Vergiftung, Deutschland seit vorgestern. Nach knapp zwei Tagen haben sie mitgeteilt, dass die Ursache stark giftige Quecksilberverbindungen sein könnten. Polens Regierung weiß dies bis heute nicht, obwohl die Katastrophe bereits zwei Wochen zurückliegt“, sagte der Bürgermeister des Ortes Krosno Odrzanskie, Marek Cebula, der Zeitung „Gazeta Wyborcza“.

Hechte, Zander, Barsche und andere Fische: Kameraden des Technischen Hilfswerk holen in Frankfurt massenweise tote Tiere aus der Oder.
Hechte, Zander, Barsche und andere Fische: Kameraden des Technischen Hilfswerk holen in Frankfurt massenweise tote Tiere aus der Oder.

© IMAGO/Winfried Mausolf

Die Untersuchungsergebnisse von massenweise verendeten Fischen sollen frühestens am Sonntag vorliegen. Bislang habe das Staatliche Forschungsinstitut in Pulawy noch keine Fische erhalten, sagte der Leiter Krzysztof Niemczuk am Freitag der Nachrichtenagentur PAP. „Wir warten noch immer und gehen davon aus, dass uns die erste Partie von Fischen für die Untersuchungen heute Abend erreicht.“

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Die Fische sollen auf Metalle, Pestizide und andere giftige Stoffe untersucht werden. Niemczuk: „Es gibt so viele Substanzen, die das Fischsterben verursacht haben könnten, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen können, was die Ursache sein könnte.“

Nicht nur die Analyse der toten Fische, auch die der Wasserproben aus der Oder in Polen halten an. Am Donnerstag hatte Vize-Infrastrukturminister Grzegorz Witkowski gesagt, man werde die Analyseergebnisse des Flusswassers „maximal im Laufe einer Woche“ vorlegen können.

Brandenburg: Hinweise auf Quecksilberbelastung

Wasserproben in Brandenburg haben Hinweise auf eine erhebliche Quecksilberbelastung ergeben. „Seit gestern Abend gibt es die ersten Ergebnisse. Die haben wir zwar noch nicht offiziell, aber es deutet in der Tat doch auf eine massive Belastung mit Quecksilber hin als ein Faktor“, sagte der Leiter der Umweltverwaltung im Kreis Märkisch-Oderland, Gregor Beyer, am Freitagmorgen im RBB-Inforadio. „Ob das der alleinige ist, wissen wir nicht.“

Die These, dass zu wenig Sauerstoff die Ursache für das Fischsterben sein könnte, habe die Kreisverwaltung von Anfang an verworfen. „Mittlerweile wissen wir das auch“, sagte Beyer. „Wir haben, völlig ungewöhnlich, sogar mehr Sauerstoff in der Oder.“

Über die Herkunft des Quecksilbers oder anderer Giftstoffe werde momentan viel spekuliert, sagte Beyer. „Der ganz ärgerliche Teil dieser Sache ist, dass die Einträge, die offensichtlich aus Richtung Polen kamen, nicht gemeldet wurden über die entsprechenden Warnsysteme, so dass wir erst reagieren konnten, als ein Fischsterben direkt zu beobachten war.“

Umweltminister Vogel: Große Menge gelöster Salze gemessen

Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) bezweifelte allerdings, dass das Quecksilber Ursache des Massensterbens ist. Dieses wirke eher langfristig als Fischgift, sagte er am Freitagabend im RBB-Fernsehen. Vogel hat einen anderen Verdacht: Die Oder weise „sehr stark erhöhte Salzfrachten“ auf. Das sei „absolut atypisch“.

Vogels Ministerium erklärte, die gemessenen atypischen Salzfrachten könnten im Zusammenhang mit dem Fischsterben stehen. „Nach jetzigen Erkenntnissen wird es jedoch nicht ein einziger Faktor sein, der das Fischsterben in der Oder verursacht hat“, hieß es in einer Mitteilung. Der Begriff Salzfrachten bezeichnet im Wasser gelöste Salze.

Auf Ursachensuche: Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) am Freitag in Schwedt.
Auf Ursachensuche: Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) am Freitag in Schwedt.

© AFP/Odd ANDERSEN

Es handele sich um erste weitere Ergebnisse des Landeslabors Berlin-Brandenburg zu den Tagesproben, die bis zum Freitag an der automatischen Messstation in Frankfurt (Oder) entnommen wurden, erläuterte das Ministerium. Die Ergebnisse seien „noch nicht voll aussagefähig und nicht abschließend“.

Weitere Untersuchungsdaten „insbesondere zu Schwermetallen, Quecksilber (in weiteren Proben) und anderen Elementen“ befänden sich noch in dem Labor in Abklärung und sollen in der kommenden Woche verfügbar sein. „Die heutigen Daten weisen auf multikausale Zusammenhänge hin, zu denen auch die derzeit sehr niedrigen Abflussmengen und hohen Wassertemperaturen gehören“, hieß es weiter.

Mit Blick auf möglicherweise erhöhte Quecksilberwerte sagte Vogel, das werde weiter überprüft. Es könne sich um eine lokale Erscheinung handeln. Auf die Frage, ob Grundwasser oder Trinkwasser kontaminiert sein könnten, antwortete Vogel: „Das wollen wir nicht hoffen.“ Es sei auf jeden Fall „eine tödliche Fracht“, die in dem Fluss mittransportiert worden sei. Er würde aber nicht so weit gehen, die Grundwasservorkommen in Gefahr zu sehen.

Niedrigwasser führt automatisch zu höheren Konzentrationen

„Wir wissen im Moment nicht, woran sie wirklich gestorben sind“, hatte Vogel zuvor in Schwedt über die toten Fische gesagt. Möglich sei eine Kombination von mehreren Faktoren wie Hitze, geringe Wasserführung und Giftstoffen, sagte Vogel. „Es kann durchaus sein, dass es sich hierbei um Stoffe handelt, die lange schon in die Oder eingebracht wurden, aber normalerweise bei Mittelwasser überhaupt kein Problem darstellen.“ Aktuell gebe es aber historische Niedrigwasserstände an der Oder.

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Solche geringen Wassermengen führten dazu, dass jeder Stoff im Wasser in einer höheren Konzentration vorliege, so der Umweltminister. Von daher könne es durchaus sein, dass Stoffe, die normalerweise in der Dosierung nicht so gravierend seien, jetzt durch die erhöhte Dosis gefährlich würden. Es sei inzwischen geklärt, dass Fische auch in Deutschland sterben würden und nicht nur verendete Tiere aus Polen angeschwemmt worden seien, sagte Vogel.

Die Landrätin des Kreises Uckermark, Karina Dörk, sagte, das Gebiet entlang der Oder werde mit Drohnen überflogen, um zu sehen, wie sich das Fischsterben weiter entwickle. Für diesen Samstag sei ein Einsatz zum Einsammeln der toten Fische geplant.

14 Meter hohe Stufe: Berliner Gewässer nicht betroffen

Nach Angaben der Senatsumweltverwaltung droht Berlin derzeit keine Gefahr, dass kontaminiertes Wasser aus der Oder ohne menschliches Zutun nach Berlin fließt. „Berlins Gewässer sind nicht betroffen, das ist auch nicht zu erwarten“, heißt es aus der Behörde.

Der Grund besteht ist die Topografie: Denn die beiden Wasserstraßen, die die Hauptstadt mit dem Grenzfluss verbinden, führen gewissermaßen „über den Berg“. Der in Berlin-Köpenick in den Seddinsee - und damit indirekt in Spree und Dahme - mündende Oder-Spree-Kanal beginnt an seinem östlichen Ende in Eisenhüttenstadt mit einer Schleuse, die von der Oder aus gesehen eine etwa 14 Meter hohe Stufe überwindet. Von diesem Plateau aus geht es bis nach Berlin über drei andere Schleusen wieder knapp acht Meter abwärts.

Der Oder-Spree-Kanal.
Der Oder-Spree-Kanal.

© Stefan Jacobs

Noch markanter ist das Plateau am Oder-Havel-Kanal, der den Norden der Hauptstadt mit dem Grenzfluss verbindet: 36 Meter beträgt hier der Höhenunterschied zwischen dem Oderbruch und dem Barnim, der am Schiffshebewerk Niederfinow überwunden wird.

An der Schleuse Lehnitz bei Oranienburg geht es dann rund fünfeinhalb Meter abwärts zum Anschluss an die Berliner Gewässer. Während das Oderbruch an seinem tiefsten Punkt nur etwa einen Meter über dem Meeresspiegel liegt, befinden sich die Berliner Gewässer etwa 30 Meter darüber.

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Giftstoffe in der Oder: Naturschützer fürchten weitreichende Folgen

In Brandenburg gehen Naturschützer derweil von weitreichenden Folgen für den Nationalpark Unteres Odertal aus. „Die Auswirkungen sind einfach furchtbar“, sagte der stellvertretende Nationalparkleiter Michael Tautenhahn am Freitagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. „Für den Nationalpark ist das schlichtweg eine Katastrophe.“

Betroffen seien Tiere und Pflanzen und auch die touristische Entwicklung der Region. „Die Vergiftungswelle ist komplett durch die Oder gegangen“, sagte Tautenhahn. Über die gesamte Strombreite habe man tote Fische treiben sehen. Betroffen seien etwa Zander, Welse, Gründlinge und Steinbeißer. Seeadler und andere Vögel könnten Gift durch die toten Fische aufnehmen.

Tautenhahn rechnet mit einem Imageschaden für den Nationalpark. „Es ist ein vergiftetes Katastrophengebiet.“ Er befürchte, dass viele Menschen nun einen Bogen um den Nationalpark machen würden. Der Nationalpark Unteres Odertal ganz im Osten Brandenburgs zählt zu den artenreichsten Lebensräumen in Deutschland.

Umweltminister Vogel: Oder erholt sich erst in mehreren Jahren

Umweltminister Vogel sagte, dass die Folgen noch jahrelang zu spüren sein: „Für die Oder als ökologisch wertvolles Gewässer ist das ein Schlag, von dem sie sich mehrere Jahre vermutlich nicht mehr erholen wird.“ Die Fischbestände müssten erst langsam neu aufgebaut werden.

„Wenn auch das Zooplankton, also die kleinen Lebewesen in der Oder, geschädigt sind - und davon ist auszugehen -, dauert es einen langen Zeitraum, bis überhaupt das Futter für die Fische wieder in ausreichendem Ausmaß in der Oder zu finden ist.“ Eine ernsthafte Gefährdung der Ostsee durch giftige Substanzen, die über den Fluss dorthin gelangen könnten, sieht Vogel dagegen nicht: „Ich würde erstmal davon ausgehen, dass, was immer sich auch in der Oder gerade befindet, so weit verdünnt wird, dass es in der Ostsee keinen Schaden mehr anrichten wird.“

„Wissen nicht, ob diese Fische als Sondermüll zu deklarieren sind“

Allerdings gibt es dazu noch keine verlässlichen Erkenntnisse: „Unser Problem ist, dass wir nach wie vor im Dunkeln tappen, dass wir also nicht wissen, welche Stoffe tatsächlich in die Oder eingebracht wurden“, sagte Vogel. „Wir haben Hinweise von polnischer Seite, dass um den 28. Juli bei Oppeln, also in der Nähe von Breslau, Stoffe in die Oder gelangten, die dort ein Fischsterben ausgelöst haben, das sich die Oder bis zu uns hinuntergewälzt hat.“

Allerdings gebe es keine klaren Informationen dazu, welche Stoffe das genau seien. „Und wir haben auch keine Erkenntnisse darüber, inwieweit sich diese Stoffe in den Fischen angereichert und möglicherweise dazu geführt haben, dass diese Fische giftig sind.“ Das könnte dann auch andere Tiere, etwa Störche oder Greifvögel, betreffen, wenn sie solche Fische fressen sollten.

„Wir wissen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, ob diese Fische als Sondermüll zu deklarieren sind“, sagte Vogel. „Je nachdem müssen dann unterschiedliche Entsorgungswege gewählt werden. Aber es ist völlig klar, es muss zu einer Entsorgung kommen.“ Dafür müssten Personal und zum Beispiel auch entsprechende Container für den Abtransport der toten Fische bereitgestellt werden.

Grüne kritisieren polnische Behörden nach Fischsterben in der Oder

Aus den Reihen der Grünen in Brandenburg gibt es deutliche Kritik an den polnischen Behörden. „Ich bin erschüttert. Nicht nur vom tausendfachen Sterben der Fische, auch vom Versagen der Informationskette aus Polen“, sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende im brandenburgischen Landtag, Benjamin Raschke, am Freitag. Wenn bei einer ökologischen Katastrophe einfache Meldeketten nicht funktionierten, gebe es grundsätzlichen Gesprächsbedarf. „Wir haben ja schon häufiger festgestellt, dass es auf beiden Seiten der Oder ganz unterschiedliche Auffassungen gibt hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Oder.“

Die Grünen-Sprecherin in Frankfurt (Oder), Alena Karaschinski, sagte, der Frust sitze tief über den im Raum stehenden Vertrauensbruch. „Ein mehrfaches Versagen von Informationspflichten und eventuell sogar ein Vertuschungsversuch bei einer Umweltkatastrophe. Das wird bundespolitisch zwischen Deutschland und Polen aufzuarbeiten sein.“

Co-Sprecherin Carla Ruhrmann ergänzte, die Oder gelte als der naturbelassenste Fluss Mitteleuropas und sei ein wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere. „Der Umweltschaden durch die Vergiftung ist immens.“ Das Ökosystem werde wahrscheinlich für lange Zeit beeinträchtigt sein. „Wir brauchen schnellstmögliche Klarheit zum Ausmaß des ökologischen Schadens und zu Abhilfemöglichkeiten.“ (mit dpa)

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