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Das Wahrzeichen der Charité in Berlin-Mitte: der Bettenturm.

© Kai-Uwe Heinrich

Massenweise Überstunden: Streit um fehlendes Personal an der Charité

Schwestern und Pfleger an der finanziell klammen Charité leisten Sonderschichten. Das Land sieht keine Steigerungsmöglichkeiten mehr. Wissenschaftsenatorin Scheeres fordert Hilfe vom Bund, denn eine Gesetzesänderung ist Mitursache für die Misere.

Der Streit um fehlendes Personal an der landeseigenen Charité spitzt sich zu. Wie der Tagesspiegel erfuhrt, versucht die Klinikleitung durch Rundschreiben an die Schwestern und Pfleger, einige der Fachkräfte für „weitere Dienste“ zu gewinnen – und zwar über Nebenabreden, also einvernehmliche Abmachungen zusätzlich zu den Arbeitsverträgen. Dort sind durchschnittliche Wochenarbeitszeiten von 39 Stunden vorgesehen. Viele Charité-Beschäftigte arbeiten zum Ärger der Personalräte seit Monaten länger.

In dem Schreiben der Pflegedirektion heißt es, man benötige vor allem OP- und Intensivschwestern, gerade an Wochenenden. Es fehlen nach Personalratsangaben bis zu 300 Pflegekräfte an der Universitätsklinik. Die Beschäftigten in der Pflege haben insgesamt 132000 Überstunden angesammelt. In einem weiteren Schreiben der Charité-Leitung an die Operateure in den Chirurgien heißt es, man wolle schnell Fachpersonal einstellen. Der Personalrat stimmte beschleunigten Verfahren zu. Doch der Klinik fehlen trotz eines Jahresüberschusses die Mittel für deutlich mehr Personal. Und selbst wenn Geld da wäre, bliebe der Fachkräftemangel: Bundesweit fehlen OP- Schwestern.

„Die Lage ist ernst“, sagte Jörg Pawlowski vom Personalrat. Wegen der von Pflegern geleisteten Überstunden will die Arbeitnehmervertretung vor Gericht klagen. Der Extraarbeit habe das Gremium nicht immer zugestimmt, was laut Personalvertretungsgesetz in den landeseigenen Betrieben aber nötig gewesen wäre. Die Charité teilte mit, die Personalsituation sei zwar knapp, was jedoch auch am hohen Krankenstand dieses Winters liege, insbesondere an einer Grippewelle. Viele Pflegekräfte meldeten sich aber von sich aus für die extra bezahlten Zusatzschichten, insbesondere Schwestern, die sonst Teilzeit arbeiten.

Pawlowski hatte vor wenigen Tagen an Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die Vorsitzende des Charité-Aufsichtsrates, geschrieben: Noch könne die Politik die Stimmung an der Klinik beeinflussen, sollte sich die Lage aber nicht ändern, drohten Arbeitskämpfe.

„Der Charité ist klar, dass die Belastungen für das Personal keinesfalls weiter gesteigert werden können“, sagte Scheeres dem Tagesspiegel. Mit dem Problem gestiegener Kosten stehe die Klinik nicht allein da. „Alle Universitätsklinika haben dieses Problem. Sie bieten Spitzenmedizin auf höchstem Niveau, sie haben die schwersten Fälle, die personalintensivste Versorgung und den größten Druck.“ Die Bundesländer hätten ihre Leistungsgrenze erreicht und die Finanzierung über die Fallpauschalen sei unzureichend.

Seit Durchsetzung der Fallpauschalen 2003 stehen die Kliniken unter stärkerem Kostendruck. Die Krankenkassen zahlen pauschal pro Diagnose, unabhängig davon, wie lange der Patient versorgt wurde. Gerade bei komplizierten Fällen, die oft in Universitätskliniken behandelt werden, zahlten die Kassen zu wenig, sagen Kritiker. „Ich spreche mich deshalb für eine dritte Finanzierungssäule für die Universitätsklinika aus“, sagte Scheeres. Neben den Ländern, die laut Gesetz für Gebäude und Technik aufkommen, und den Kassen, die für die Behandlungen zahlen, seien Bundesmittel nötig. Rund 300 Vollzeit-Pflegekräfte kosten etwa zwölf Millionen Euro im Jahr.

Scheeres unterstützt mit ihrer Forderung die Position der Hochschulleitungen. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands kritisierte die „Unterfinanzierung zentraler Aufgaben der Hochschulmedizin“. Der Verband schlägt „eine Zuschlagslösung“ vor. Noch als niedersächsische Wissenschaftsministerin habe sich Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) entsprechend geäußert, teilte Scheeres mit.

Die Position der Charité in Verhandlungen mit dem Senat um mehr Geld dürfte auch durch diesen Vorstoß besser geworden sein. Schon vor wenigen Tagen hatte eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ergeben, dass fast die Hälfte der Mittel, die das Land Berlin für die Charité aufwendet, als Steuern zurück in die Senatskassen zurückfließt.

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