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Kein Warten mehr. Durch die Trennung von Erstregistrierung und Leistungsgewährung sollen Schlangen wie 2015 vor dem Lageso vermieden werden.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Masterplan für Integration: Kritik an Berliner Integrationspolitik wächst

Vor anderthalb Jahren beschloss Rot-Schwarz den Masterplan Integration. Ressortdenken in der Verwaltung und die mangelnde Einbindung sozialer Träger stoßen jedoch auf Empörung.

Er war kein Wunschkind, das mit Jubel begrüßt wurde, dieser Masterplan für Integration. Die Verabschiedung des Zehnpunkteplans im Juli 2016 war von Ablehnung begleitet: Als halbherzigen Kompromiss der rot-schwarzen Landesregierung kritisierten Opposition und Helferinitiativen das Programm. Zu vage sei es, zu sehr auf Sicherheit fokussiert, zu sehr setze es auf Verwaltung der Geflüchteten statt auf Förderung und Dialog mit der Stadtgesellschaft.

14 Millionen Euro gaben die Senatsverwaltungen 2016 zusätzlich für die im Masterplan festgelegten Maßnahmen aus, 2,4 Millionen Euro waren es bei den Bezirken. Ein Jahr nach seiner Verabschiedung zog der Umsetzungsbericht des Integrationsbeauftragten des Senats eine erste Bilanz.

So ist die Haupterrungenschaft im Bereich Ankunft und Registrierung die Einrichtung des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und die Trennung von Erstregistrierung und Leistungsgewährung. Geflüchtete kommen nun grundsätzlich in Tempelhof an und registrieren sich in der Bundesallee im Ankunftszentrum des Bundes und des Landes. Erst zu einem zweiten Termin müssen sie ins LAF an der Darwinstraße – so sollen lange Schlangen wie vor dem Lageso 2015 vermieden werden.

2016 bekamen außerdem 37.000 Geflüchtete Hilfe über das Lotsenprogramm – 193 Integrationslotsen halfen beim Einleben. Die Freiwilligeninitiativen stehen dem LAF dennoch kritisch gegenüber: „Es macht einen nicht zur jüngsten Behörde, wenn man einen neuen Namen hat“, sagt Christiane Beckmann von der Helferinitiative „Moabit hilft“. Sie berichtet von Plänen, Ehrenamtliche zur Wohnungsvermittlung einzusetzen. „Dabei ist das eigentlich Aufgabe der Behörde, nicht unsere. Da bekommen wir schon ein Déjà-vu zu 2015.

Soziale Träger kritisieren Isolation durch abgelegene Containerdörfer

Im Bereich gesundheitliche Versorgung ist die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ein Haupterfolg. Hakan Taş, integrationspolitischer Sprecher der Linken, sieht aber Nachholbedarf beim Übergang in die gesundheitliche Regelversorgung, etwa wenn ein Geflüchteter mit chronischer Erkrankung von der Erstversorgung in der Unterkunft in kassenärztliche Behandlung übergeht. Der Umsetzungsbericht räumt auch ein, dass die sozialpsychiatrische Betreuung der teilweise stark traumatisierten Geflüchteten „noch nicht vollständig gelungen“ sei.

Probleme mit der Qualitätssicherung gibt es auch bei dem wohl drängendsten Punkt der Flüchtlingsversorgung, nämlich Unterbringung und Wohnraum. Zwar sollen bis Ende des Jahres die etwa 4900 Geflüchteten, die im November noch in Notunterkünften lebten, in permanente Unterkünfte ziehen – im Juli waren es noch mehr als doppelt so viele gewesen. Dennoch ist auch der Alltag der 18.900 (Stand November) Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften nicht immer reibungslos: Christiane Beckmann berichtet von wiederholten Klagen über Bettwanzen und bemängelt die Isolation durch umzäunte, teils abgelegene Containerdörfer. „Wir haben eine linke Integrationssenatorin, von der man hofft, dass sie gegen solche Missstände etwas tut.“ Solche Zustände schafften eine Apartheid, die wiederum rechte Tendenzen in der Bevölkerung befeuerten. Auch der generell immer knapper werdende bezahlbare Wohnraum befeuert das Problem.

Kritik gibt es auch am Konzept der Vormünder. In der Regel bekommen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge entweder Juristen als Vormünder zur Seite gestellt oder Ehrenamtliche. Ulrike Kostka, Direktorin der Caritas Berlin, berichtet von bis zu 50 Mündeln pro hauptamtlichem Vormund, maximal 30 sollten es ihrer Ansicht nach sein.

Canan Bayram, integrationspolitische Sprecherin der Grünen, selbst Juristin, hält Mündel aus Richter- und Staatsanwaltschaft für kontraproduktiv: „Viel zu weit weg“ seien die Juristen vom Lebensalltag der 16- bis 18-Jährigen, die sich in einer besonders kritischen Entwicklungsphase befänden und besonders anfällig für Kriminalität und Radikalisierung seien. Bayram und Kostka sind sich darin einig, dass die Betreuung der Jugendlichen mit dem 18. Geburtstag nicht aufhören dürfe.

Bei der Bildung ist die Maxime „Spracherwerb für alle“ der Ansatz des Masterplans. Auch Geflüchtete, die aufgrund ihres Herkunftslandes keinen Zugang zu Integrationskursen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben, bekommen Sprachkurse vom Land Berlin bezahlt. 9359 Teilnehmer belegten 2016 Sprachkurse an den Berliner Volkshochschulen, davon waren nur 228 Frauen.

Es gibt allerdings Kritik an den Kursen, die häufig von Quer- und Wiedereinsteigern abgehalten wurden. Schulpflichtige geflüchtete Kinder und Jugendliche besuchten Ende 2016 eine von 1056 Willkommensklassen.

Arbeitsmarktintegration ist neben Unterbringung der zentrale Punkt für die langfristige Integration von Geflüchteten, so der Landesintegrationsbeauftragte Andreas Germershausen. Aufsuchende Beratung, Willkommen-in-Arbeit-Büros, Gründungsberatung und Bundesfreiwilligendienst gehörten daher zu den angebotenen Maßnahmen. Bei der Vernetzung der Angebote zur Integration in Ausbildung und Arbeit sieht Hakan Taş aber noch Verbesserungsbedarf.

Zusammenarbeit mit den Bezirken läuft noch nicht glatt

Reizthema für Graswurzelinitiativen wie „Moabit hilft“ ist der Abschnitt „integrative und offene Stadtgesellschaft“, in dem es um die Einbindung des Ehrenamts und Kommunikation in der Stadtgesellschaft geht. Veranstaltete Sozialsenator Mario Czaja (CDU) noch runde Tische mit Freiwilligeninitiativen, war diese Praxis zwischenzeitlich eingeschlafen. Nun treffen sich die größten Wohlfahrtsverbände alle sechs bis acht Wochen mit der Senatorin, alle acht Wochen sehen sich der Staatssekretär für Integration, die Flüchtlingskoordinatorin und Freiwilligeninitiativen.

Außerdem arbeiten sie mit am „Gesamtkonzept zur Integration und Partizipation Geflüchteter“, das im Frühjahr 2018 fertiggestellt sein soll. Ulrike Kostka fühlt sich als Direktorin eines sozialen Trägers dennoch abgehängt: Bei der Planung von Maßnahmen werde man außen vor gelassen, nur bei der Ausführung werde man beteiligt. Höchstens gelte man als „Expertise von außen“.

Ein weiterer Kritikpunkt: die Zusammenarbeit mit den Bezirken. Denn aus dem Integrationsfonds für das Nachbarschaftsprogramm der Bezirke wurden nur 2,3 von 6 Millionen Euro abgeschöpft. Auch das soll laut Senatorin Breitenbach besser werden. Schließlich würden die Geflüchteten nun nach und nach in Bezirksstrukturen integriert und lokal angebunden.

Während Elke Breitenbach lieber von Weiterentwicklung als von einem Bruch mit dem Masterplan spricht, sieht Ulrike Kostka das neue Konzept kritisch. „Die Regierung tut jetzt so, als hätte sie mit dem Masterplan nichts zu tun gehabt, und fängt bei null wieder an“, sagt sie. Der Masterplan habe zwar „geholpert“, sei aber durchaus ein hilfreiches Instrument gewesen. Auch sei der Aufwand für ihre Fachreferenten wegen des Konzeptentwicklungsprozess enorm.

Ein weiteres von vielen Beteiligten bemängeltes Problem sind Parallelstrukturen und mangelnde Vernetzung von Initiativen und Einrichtungen sowie das Ressortdenken innerhalb der Verwaltung. „Es kann nicht sein, dass jedes Haus seine eigene Suppe kocht“, sagt Kostka. „Wir müssen jetzt unsere Kräfte bündeln.“

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