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Berlin: Matthias Blume hat den musikalisch-literarischen Salon neu belebt

Blume liest vor. Er sitzt am Tisch, der Saal ist dunkel und die Leselampe wirft ihren Lichtkegel auf das Buch: Es ist der "Tristan", ein Roman aus Thomas Manns Frühwerk.

Blume liest vor. Er sitzt am Tisch, der Saal ist dunkel und die Leselampe wirft ihren Lichtkegel auf das Buch: Es ist der "Tristan", ein Roman aus Thomas Manns Frühwerk. 100 Menschen sind an diesem Donnerstagabend in die Gottfried-Benn-Bibliothek in Zehlendorf gekommen, um zuzuhören, wie der Rezitator mit seiner Stimme die Figuren von den Buchseiten in die Wirklichkeit holt. Vorn sitzt - im schwarzen Anzug, die Lesebrille auf der Nase - Matthias Blume, 41 Jahre alt, Studienrat für Deutsch und Musik. Seit zehn Jahren liest er vor Publikum, angefangen hat das alles mal im Freundeskreis. Inzwischen hat er eine Fangemeinde, zu der Kollegen, Freunde und viele junge Leute zählen.

Blume ist bekannt in Zehlendorf. Ihm geht der Ruf voraus, den "musikalisch-literarischen Salon" neu entdeckt und wiederbelebt zu haben. Freunde entdeckten sein Talent und ermutigten ihn, auch vor größerem Publikum zu lesen. Das hat der freundliche Pädagoge mit der ausdrucksstarken Stimme seit Beginn der 90-er Jahre immer wieder getan. Er ist bei Einschulungen aufgetreten und hat zahllose Abende bei Zehlendorfer Freunden gestaltet. "Das Lesen macht mir einfach Spaß, so alle acht Wochen brauche ich das einfach", sagt er.

Normalerweise setzt sich Blume mit Noten von Brahms, Schumann, Chopin oder Ravel ans Klavier, bevor er sein Buch aufschlägt. Darauf muss er an diesem Abend verzichten: In der Bibliothek - wo er bereits zum zehnten Mal liest - gibt es zwar Musik auf CDs, aber keine Instrumente. Kein Problem für Blume. Sein Instrument ist die Stimme: Sie füllt beschwörend den Raum, durchläuft in melodischen Bögen die Dialoge, macht Pausen voller Spannung, näselt und flötet, brummt und seufzt. Es gibt kein Mikrofon, Elektronik würde die gemütliche Atmosphäre stören. Nach der ersten Stunde zieht sich der Rezitator für ein paar Minuten in ein Nebenzimmer zurück. Niemand geht nach Hause.

Das mag auch an der besonderen Stimmung dieses Abends liegen. Alle wissen: Blume ist auf dem Sprung nach Argentinien. An einer deutschen Schule in Buenos Aires wird er unterrichten, drei Jahre müssen die Zehlendorfer auf ihn verzichten. "Ich bin 41 Jahre alt, wenn ich es jetzt nicht mache, wird das nichts mehr", sagt Matthias Blume, der von seiner Frau nach Südamerika begleitet wird. Argentinien - weiß er überhaupt, worauf er sich einlässt? "Ja, ich war doch in den Herbstferien dort. Eine großartige Stadt, die Menschen sind herzlich und offen", sagt Blume, der vor seiner Abfahrt noch viel zu tun hat. Zwei Wochen bleiben, am Montag stellt die Spedition die Container für den Umzug vor die Tür. Nach zweieinhalb Stunden ist die Lesung zu Ende, das Publikum nimmt mit einem langen Applaus Abschied vom Vorleser.

Michael Brunner

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