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Matthias Erzberger, 20.9.1875 - 26.8.1921

© picture alliance / dpa

Matthias Erzberger: Ein Großer der Weimarer Republik wird endlich geehrt

Matthias Erzberger war einer der bedeutendsten Politiker der Weimarer Zeit. Nun wird er in Berlin geehrt - fast 100 Jahre nach seiner Ermordung.

Nicht oft hat Berlin mit seiner geschichtlichen Erinnerungskultur so viel Glück wie am heutigen Donnerstag: Bundestagspräsident Norbert Lammert wird vor dem Plenum verkünden, dass die beiden Bundestagsbauten Unter den Linden 50 und 71 nunmehr nach zwei bedeutenden Politikern der Weimarer Republik benannt werden: dem Sozialdemokraten Otto Wels und dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger.

Zwei bedeutende Reden stehen als Eckpfeiler der Republik: Erzberger hatte in einer der frühen, großen Reden in der Weimarer Nationalversammlung am 25. Juli 1919 in scharfer Deutlichkeit, im Protokoll über 17 Seiten, mit der verderbten Kriegspolitik des Kaiserreiches abgerechnet; das Deutsche Reich habe nicht unter einer politischen Regierung, sondern unter einer „Militärdiktatur“ gestanden, die einen Verständigungsfrieden sabotiert hatte. Otto Wels hingegen hatte in der letzten freien Rede im Reichstag am 23. März 1933 das Nein der SPD gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz begründet: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Wels starb 1939, von den Nazis ausgebürgert, im Pariser Exil. Dass Lammert die Entscheidung zur Namensgebung an einem 23. März bekannt gibt, hat also einen guten symbolischen Sinn.

Die Vorgeschichte verlief nicht glücklich

Die Vorgeschichte dieses Erinnerungstages verlief freilich alles andere als glücklich. In der Evangelischen Akademie zu Berlin hatten wir 2000 in vier Reden an die vier großen Toten der Weimarer Republik erinnert, an Walter Rathenau, an Gustav Stresemann, an Friedrich Ebert – und eben an Erzberger, den ersten Märtyrer der Republik, der am 26. August 1921 von zwei Mordbuben ums Leben gebracht wurde. Doch merkwürdig: Während an die anderen Persönlichkeiten auf Berliner Straßen und Plätzen, zum Teil mehrmals, erinnert wird (selbst nach Otto Wels ist eine Straße und eine Grundschule benannt) – von Matthias Erzberger keine einzige Spur.

Eine Intervention bei Eberhard Diepgen, unterstützt durch Artikel im Tagesspiegel, führte nur zu der Auskunft: In der Berliner Mitte gibt es Straßen nach Männern erst wieder, wenn gleich viel Frauen vorkommen. Freilich: War Rudi Dutschke eine Frau gewesen? Noch der Platz vor dem Jüdischen Museum konnte nur nach Moses Mendelsohn benannt werden, nachdem man den Namen seiner Frau Fromet vorangestellt hatte. Auch unter Klaus Wowereit derselbe Hinweis auf die Zuständigkeit der Bezirke. Zur Ehre von Wolfgang Schäuble muss betont werden, dass er – gegen interne Widerstände – den Festsaal im Finanzministerium nach Erzberger benannte, am 90. Jahrestag von dessen Ermordung. Zwei Bundespräsidenten zuckten nur mit den Schultern, als ihnen vorgeschlagen wurde, den unauffälligen Spreeweg am Schloss Bellevue nach Erzberger zu benennen.

Nun aber wird doch einer der wirkungsmächtigsten Politiker am Übergang zur Republik sichtbar geehrt: Erzberger hatte, von der Illusion eines Siegfriedens kuriert, 1917 die „Friedensresolution“ im Reichstag durchgesetzt, er hatte den feigen Militärs das Joch abgenommen, den Waffenstillstand nach dem Ersten Weltkrieg zu unterzeichnen, den sie in einem panischen Ultimatum gefordert hatten – und er hatte in kürzester Zeit eine Finanzstruktur für das Reich durchgesetzt, die heute noch Bestand hat.

Nicht nur das: Er war eigentlich der erste „moderne“ Berufspolitiker, der mit einem Eifer, den ihm viele der Granden auch im eigenen Lager übel nahmen, für seine Sachen kämpfte. Übrigens als ein Populist im besten Sinne: In zigtausenden Briefen hat er sich, selber kleiner Leute Kind und doch einer der Großen, für die Anliegen der einfachen Bürger eingesetzt.

Endlich bekennt sich nun dank Lammert Berlin öffentlich zu dem Patrioten.

Robert Leicht ist Journalist und Publizist, etwa bei der „Zeit“. Er war lange Präsident der Evangelischen Akademie.

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