zum Hauptinhalt

Berlin: Mauer in den Köpfen: Grenzen verschwinden, die Fremdheit bleibt

Mit der zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Bezirksfusion verwischen weiter die Grenzen zwischen den einstmals getrennten Stadthälften. Zwei der jetzt zwölf neuen Großbezirke vereinen Ost und West: Mitte, das sich aus den früheren Bezirken Tiergarten, Wedding und Mitte zusammensetzt, und Friedrichshain/Kreuzberg.

Mit der zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Bezirksfusion verwischen weiter die Grenzen zwischen den einstmals getrennten Stadthälften. Zwei der jetzt zwölf neuen Großbezirke vereinen Ost und West: Mitte, das sich aus den früheren Bezirken Tiergarten, Wedding und Mitte zusammensetzt, und Friedrichshain/Kreuzberg. Das Zusammenwachsen der Stadt zeigt sich auch in der Angleichung der Lebensverhältnisse, selbst, wenn es in manchen Bereichen noch Unterschiede gibt. So verfügen die Haushalte beinahe über das gleiche monatliche Einkommen: 2850 Mark im Westen, 2800 Mark im Osten.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Arbeitnehmer dasselbe Gehalt erhalten: In den Ost-Berliner Familien gibt es mehr Doppelverdiener. Nach Berechnungen des DGB liegt das durchschnittliche Gehalt quer durch alle Branchen im Ostteil nur bei 91,5 Prozent des West-Niveaus. Für die Ost-Berliner Beschäftigten des öffentlichen Dienstes war es der Regierende Bürgermeister Diepgen, der schon für das Jahr 1996 die Gleichstellung bei den Einkommen - bei allerdings längerer Arbeitszeit und weniger Weihnachtsgeld - durchsetzte. Nur für die Beamten konnte der Senat nichts tun. Deren Besoldung ist Bundessache.

Im Ost-West-Bezirksamt Friedrichshain/Kreuzberg können demnach in einem Zimmer Beschäftigte sitzen, die nach drei verschiedenen Tarifen bezahlt werden: der Angestellte oder Beamte West mit vollen 100 Prozent, der Angestellte Ost mit 100 Prozent bei weniger Zusatzleistungen und längerer Arbeitszeit sowie der Beamte Ost mit 86,5 Prozent. Bei den Ministerien und anderen Einrichtungen des Bundes mit Sitz im Ostteil der Stadt müssen sich auch die Angestellten und Arbeiter mit den für die neuen Länder geltenden 86,5 Prozent begnügen.

Einheitliche Einkommen erhalten bisher die Beschäftigten unter anderem in der Metallindustrie, in der Papier verarbeitenden Industrie und in der Druckindustrie, im Einzelhandel, im Bau, bei Banken und Versicherungen, bei der Telekom und im Gebäudereinigergewerbe. Im Textilbereich werden 81 Prozent gezahlt, in der Chemiebranche 84 Prozent und im Großhandel 93 Prozent. Am wenigsten erhalten die Ost-Berliner Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe (75 Prozent). Und auch Anwälte mit Sitz in Ost-Berlin müssen sich mit zehn Prozent niedrigeren Gebühren zufrieden geben als ihre West-Kollegen.

Bei Kranken- und Pflegeversicherung sind die Beitragsbemessungsgrenzen in Ost-Berlin schon seit 1995 auf dem Westniveau. Bei der Berechnung der Renten- und Arbeitslosenversicherung gibt es weiterhin Unterschiede. Hier müssen künftig im Westteil Beiträge bei einem jährlichen Einkommen bis zu 104 400 Mark und im Ostteil bis zu 87 600 Mark gezahlt werden.

Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten gibt es vor allem in der Miethöhe, allerdings haben sich die Zahlungen immer mehr angeglichen. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes kostet im Westen die Miete pro Quadratmeter durchschnittlich 11 Mark, im Ostteil liegt sie bei 10, 03 Mark. Bei Beiträgen für städtische Einrichtungen sind dieselben Sätze zu entrichten, beispielsweise für die Kindertagesstätten.

Leistungen des Sozialamtes und des Arbeitsamtes werden nicht nach Ost und West unterschieden. Arbeitslosengeld oder -hilfe werden nach gleichen Bemessungsgrundlagen ausgezahlt, abhängig vom früheren Einkommen. Die Einkommensverteilung innerhalb der Stadt ist nicht an die Ost-West-Aufteilung gebunden. Der einkommensstärkste Bezirk ist nach Angaben des Statistischen Landesamtes mit weitem Abstand das westliche Zehlendorf/Wilmersdorf, wo knapp 30 Prozent der Haushalte über ein monatliches Netto-Einkommen von mehr als 5000 Mark verfügen. Der östliche Plattenbaubezirk Hellersdorf/Marzahn nimmt allerdings bereits den zweiten Platz in der Einkommensstatistik ein.

Neun der früheren elf Ost-Bezirke liegen bei der Arbeitslosenquote unter dem Gesamt-Berliner Ergebnis von 15,3 Prozent. Lediglich Friedrichshain und Prenzlauer Berg sind knapp darüber angesiedelt. Das Landesarbeitsamt führt jedoch seit 1997 keine nach den Stadthälften getrennte Statistik mehr. Begründung: "Wir haben einen gemeinsamen Arbeitsmarkt."

Auch wenn die äußeren Lebensumstände sich in den letzten Jahren immer mehr angeglichen haben, scheint sich dieses nicht im zwischenmenschlichen Bereich niedergeschlagen zu haben. Lediglich 2,2 Prozent der 14 635 Ehen wurden zwischen Partnern aus Ost- und West-Berlin geschlossen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false