zum Hauptinhalt
Baustelle vor dem Kronprinzenpalais

© Jürgen Ritter

Mauer-Kunstprojekt: Ein totalitäres Regime entsteht in Berlin-Mitte

Regisseur Ilja Khrzhanovskij will die Berliner Mauer wieder errichten – Einreiseanträge und womöglich sogar Schikanen inklusive. Die Reaktionen sind gespalten.

Von
  • Ulrich Zawatka-Gerlach
  • Ronja Ringelstein
  • Pauline Faust

Das Kunstprojekt, bei dem der Regisseur Ilja Khrzhanovskij die Mauer in Berlin wieder errichten will, wird in der Berliner Politik inzwischen breit und kontrovers diskutiert. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) fasste in der Senatspressekonferenz am Dienstag die Stimmung ganz gut zusammen, als er sagte, die Idee sei „gewöhnungsbedürftig, aber grundsätzlich spannend und interessant“. Müller sei von Anfang an klar gewesen, dass dieses „Kunstprojekt“ viele kritische Reaktionen auslösen würde. Doch er halte bei diesem Thema eine „harte, kritische Auseinandersetzung“ nicht für schädlich. „Es rüttelt wach“ und könne vielleicht jüngere Menschen besonders gut ansprechen.

Ab dem 12. Oktober sollen innerhalb einer der Berliner Mauer nachempfundenen Mauer Impressionen eines totalitären Staates erlebbar werden. Das Straßen- und Grünflächenamt Berlin bestätigte dem Tagesspiegel das Datum. Innerhalb dieser Mauer sollen wohl auch Szenen aus Khrzhanovskijs „Dau“-Film gezeigt werden. Dieser handelt von dem sowjetischen Physiker und Atombombenmiterfinder Lev Landau („Dau“). Besucher des „fremden Landes“ mitten in Berlin müssen Einreiseanträge stellen und am Eingang ihre Handys abgeben, vielleicht sogar Schikanen ertragen.

Hier soll die "Mauer" gebaut werden.
Hier soll die "Mauer" gebaut werden.

© Fabian Bartel

Einen Monat soll die Mauer mitten in Berlin-Mitte stehen

Viele Details des Projekts sind noch nicht bekannt, für den Veranstalter, die Berliner Festspiele, gehört eine gewisse Geheimniskrämerei dazu. Bei einer ersten Behördenrunde in der Senatskanzlei Anfang August hatte man ausdrücklich darum gebeten, dass die Inhalte der Veranstaltung geheim bleiben. Bekannt werden durfte allerdings, dass die Mauer am 9. November wieder eingerissen werde – wie, wird nicht verraten, es soll wohl nachts geschehen. Auch ein Eintrittsgeld wird fällig, über die Höhe ist bislang noch nichts sicher bekannt, es wird von gestaffelten Beträgen gesprochen, je nach Dauer des Aufenthalts bis etwa 45 Euro.

Aus dem Straßen- und Grünflächenamt, wo dem Amtsleiter Harald Büttner die dicke Antragsakte vorliegt, war zu hören, in welchem Umfang die Mauer neu errichtet werden soll. Es wird sich um ein fast quadratisches Areal in Mitte handeln. Nördlich begrenzt durch die Straße Unter den Linden, südlich durch die Französische Straße und den Werderschen Markt. Mit eingeschlossen werde also auch die Staatsoper – diese soll aber, wie Büttner sagt, einen gesonderten Zugang erhalten. Auch die Sankt-Hedwigs-Kathedrale wird mit eingemauert und möchte an dem Projekt sogar aktiv mitwirken.

Eigentlich sollte sie gar nicht hinter die Mauer, doch wegen Umbauarbeiten, die ohnehin an der Kathedrale vorgenommen werden sollten, wird der Gottesdienst ab September in ein Gotteshaus in Wedding ausgelagert und der Raum stattdessen für Ausstellungen genutzt. „Uns interessiert bei dem Projekt vor allem das Thema Freiheit, denn dafür steht die Kathedrale auch“, sagt Stefan Förner, Sprecher des Erzbistums Berlin. Im geteilten Berlin sei das Erzbistum eins geblieben, Mauern zu überwinden sei also ein passendes Thema für die Bischofskirche. „Natürlich wird die Würde des Gotteshauses gewahrt werden“, sagt Förner.

Ob Bewohner sich Pizza liefern lassen können, sei noch ungeklärt

Für die Anwohner, deren Wohnungen im Radius der Mauer liegen, könnte die Kunstaktion ebenfalls herausfordernd werden. Zwar sollen sie Anwohnerausweise erhalten, ob man sich aber eine Pizza in den totalitären Staat liefern lassen könne, sei, so konstatiert Harald Büttner vom Grünflächenamt, wohl noch offen. Bislang habe es keine Beschwerden durch etwaige Betroffene gegeben.

Reaktionen: von "cool" bis "SED-Happening"

An Kunst scheiden sich bekanntlich die Geister, so auch bei dieser Aktion. Der kulturpolitische Sprecher der CDU, Robbin Juhnke, muss gleich an die Reichstagsverhüllung des Künstlers Christo denken. Ebenso geht es der kulturpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Regine Kittler. Sie glaubt, dass das „cool“ werden könne. Sabine Bangert von den Grünen hingegen hält das „Dau“-Projekt für „verzichtbar“. „Aus Respekt vor den Opfern, die wirklich solche Situationen erlebt haben, sollte man das lassen. Ich halte nichts davon, totalitäre Systeme als Experiment neu zu errichten. Diese Holzhammermentalität stört mich“, sagte Bangert.

Florian Kluckert von der FDP sieht ebenfalls kritisch, wie Berliner das Projekt aufnehmen könnten, die unter der Mauer gelitten haben. „Ich möchte nicht, dass das SED-Regime als Happening veranstaltet wird. Aber man kann auch nicht alles verbieten, was man nicht gut findet“, sagte Kluckert. Martin Trefzer, der in der AfD-Fraktion für Erinnerungs- und Gedenkstättenpolitik zuständig ist, befürchtet eine Bagatellisierung historischer Verbrechen. „Das wird als Kunstprojekt verkauft, ist aber eigentlich ein PR-Event.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false