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Mauerbau: Ulbricht wollte die Stadt schon 1953 teilen

Der SED-Chef Walter Ulbricht bat Stalin vergeblich um Erlaubnis. 1961 wurde der Mauerbau detailliert mit Chruschtschow erörtert.

Von Sandra Dassler

Unmittelbar vor dem Jahrestag des Arbeiteraufstands am 17. Juni 1953 in der DDR erregen jetzt neue Erkenntnisse zum Bau der Berliner Mauer Aufsehen. Der soll nämlich nach Recherchen des Berliner Historikers Jörn Schütrumpf von SED-Chef Walter Ulbricht schon acht Jahre früher geplant gewesen sein: zu Beginn des Jahres 1953. „Natürlich ging es damals noch nicht um die Mauer, wie sie 1961 entstand, aber West-Berlin sollte abgeriegelt werden“, sagte Schütrumpf am Montag dem Tagesspiegel: „Dokumente, die das belegen, finden sich im Nachlass von Ulbricht.“

Manfred Wilke, der sich als externer Projektleiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin seit Jahren mit der Historie der Mauer beschäftigt, kennt zwar keine konkreten Pläne zum Mauerbau bereits im Jahr 1953, hält entsprechende Überlegungen aber für wahrscheinlich. „1952 wurde auf Befehl Stalins die innerdeutsche Grenze befestigt“, sagt er. „Berlin war wegen des Viermächtestatus’ davon ausgenommen, galt aber als das Loch in der Grenze. Deshalb gab es tatsächlich bereits 1952 konkrete Vorschläge von Ulbricht an die Genossen in Moskau zur besseren Kontrolle der Sektorengrenzen.“

Auch der Historiker und Spezialist für deutsch-russische und sowjetische Zeitgeschichte, Gerhard Wettig, bestätigt, dass Ulbricht Stalin 1952 darum bat, auch West-Berlin abzuriegeln. „Ich habe sowjetische Dokumente gesehen, die das belegen“, sagt er: „Im Zusammenhang mit der Schließung der innerdeutschen Grenze im Mai 1952 drang Ulbricht darauf, dass auch die Grenze in Berlin dicht gemacht werden sollte.“ Stalin sei darauf allerdings nicht eingegangen, ein erneuter Vorstoß Ulbrichts im Herbst 1952 sei bis zum Tod des sowjetischen Diktators unbeantwortet geblieben und von Chruschtschow abgelehnt worden – bis 1961.

Ausgelöst wurden die aktuellen Diskussionen über den Mauerbau durch ein kürzlich veröffentlichtes Gesprächsprotokoll. Wie berichtet, hatte der Militärhistoriker Matthias Uhl im Moskauer Staatsarchiv für Zeitgeschichte kürzlich das Protokoll eines Gesprächs zwischen Ulbricht und dem sowjetischen Führer Nikita S. Chruschtschow einsehen können – geführt am 1. August 1961 in Moskau.

Da besprachen die beiden Chruschtschows kurz zuvor gefassten Plan zum Bau der Mauer sehr detailliert. So antwortete Ulbricht auf eine entsprechende Frage Chruschtschows, dass der Stacheldraht bereits angeliefert worden sei und dass man Bahnsteige von S- und U-Bahnen umbauen müsse.

„Das Protokoll belegt, dass der Bau der Mauer von Ulbricht gewollt und von Moskau genehmigt wurde“, sagte Manfred Wilke: „Der DDR liefen die Menschen weg, was zum Verlust der SED-Macht geführt hätte. Und Moskau wollte seinen Vorposten in Europa nicht verlieren.“ „Deshalb hat Ulbricht 1961 diverse Planungen von 1953 wieder herausgezogen“, sagte Schütrumpf, der den Berliner Karl-Dietz-Verlag leitet: „So waren damals schon die sogenannten Grenzgänger – Menschen, die im Osten wohnten und im Westen arbeiteten – von den Behörden erfasst worden; vor dem Mauerbau 1961 wiederholte sich dies.

1961 hatte auch Chruschtschow zunächst den Bau der Mauer abgelehnt und sich erst Ende Juli anders entschieden. Schütrumpf: „Ursprünglich sollte am 14. August – einen Tag nach dem 90. Geburtstag von Karl Liebknecht - noch eine große Kundgebung am Potsdamer Platz stattfinden. Dort hatte Liebknecht 1916 gegen den Krieg demonstriert und war verhaftet worden. Die Plakate für die Kundgebung am 14. August 1961 waren schon gedruckt, Ulbricht selbst wollte dort reden.“

Doch darauf habe er wohl gern verzichtet, sagt Historiker Gerhard Wettig: „Die DDR wollte ja so schnell wie möglich die Flüchtlingsströme stoppen. Am 13. August ging dieser Wunsch in Erfüllung.“

Sicher sind die Historiker, dass die DDR allein die Mauer nie hätte errichten können. „Die mussten ja selbst den Stacheldraht im Westen kaufen“, sagte Schütrumpf. Und Wilke hofft, dass weitere Dokumente im Moskauer Archiv freigegeben werden: „Dort liegt noch das gesamte Kartenmaterial zur Absperrung der Sektorengrenzen unter Verschluss“, sagt er. „Alles erstellt von der Sowjetarmee.“

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