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Mauerfall: Zuerst fiel die Grenze im Süden Berlins

Neue Details über die Ereignisse am 9. November. In der ZDF-Dokumentation "Der schönste Irrturm der Geschichte - wie die Berliner Mauer wirklich fiel" berichten die Autoren über die Ereignisse an der Waltersdorfer Chaussee.

Der einstige Grenztruppen-Oberstleutnant Heinz Schäfer kann sich noch genau an seinen Befehl an die Wachhabenden erinnern: „Aufmachen! Durchlassen!“ Die etwa einhundert wartenden DDR- Bürger spazierten am Abend des 9. November 1989 nach West-Berlin. In der Aufregung sah so mancher auf die Uhr, um sich später an das schier unfassbare Ereignis erinnern zu können: Es war 20.30 Uhr. Schäfer schüttelt deshalb beim Lesen der vielen Geschichten rund um den Mauerfall den Kopf: „Nicht an der Bornholmer Straße öffnete sich der erste Schlagbaum, sondern bei uns an der Waltersdorfer Chaussee“, erzählt er. „Wir waren mindestens zwei Stunden vorher dran, denn die Massen strömten auf der Bornholmer Straße doch erst gegen 22.30 Uhr in den Westen.“ Selbst die hier um 21.30 Uhr ergangene Anweisung an die Grenztruppen, „Krawallmacher“ einzeln ausreisen zu lassen, geschah demnach erst eine Stunde nach der weitgehend unbekannten ersten Maueröffnung im Süden Berlins.

„Ich hatte die Pressekonferenz von Schabowski im Fernsehen verfolgt und danach mit meinem Regimentskommandeur telefoniert“, erinnert sich Schäfer. „Mir war klar, dass jetzt fast jeder ein- und ausreisen konnte und fuhr deshalb an meine Grenzübergangsstelle.“ Die war bis dahin allein West-Berlinern vorbehalten, die vor allem schnell zum Flughafen Schönefeld kommen wollten. „Ich ließ die scharfe Munition einsammeln und dann die Kontrolle der Ausweise nach und nach einstellen.“ Der große Ansturm setzte erst am folgenden Wochenende ein, als pro Tag rund 28 000 Menschen von Schönefeld nach Rudow strömten. Sonderzüge aus Leipzig und Dresden fuhren damals bis zum Bahnhof Schönefeld, wo die Völkerwanderungen zur Waltersdorfer Chaussee begannen.

Am Abend des 9. Novembers hatte der heute 51-jährige Andreas Groß zusammen mit seinem Schwager als erster DDR-Bürger diese Grenzübergangsstelle passiert. „Mein Bruder hatte die Pressekonferenz gesehen und uns danach mit Blitzknallern vor unserer Tür aufgeweckt“, sagt Andreas Groß. „Der erzählte etwas vom ‚Fall der Mauer‘ und ‚offenen Grenzen‘ und so weiter. Ich hielt ihn erst für verrückt und sah dann doch die Bestätigung im Westfernsehen.“ Schnell entschied er sich dann mit seinem Schwager, die zweieinhalb Kilometer von Altglienicke zur Waltersdorfer Chaussee zu radeln. Der Bruder, der die freudige Nachricht erst überbracht hatte, wurde von der eigenen Frau zurückgehalten. Diese traute dem Frieden nicht.

Gegen 20.30 Uhr wurden Groß und sein Schwager durchgelassen. „Nur unsere Räder sollten wir im Osten lassen.“ Auf Rudower Seite entdeckten sie einen BVG-Bus, dessen Fahrer gerade Pause machte. Er hörte sich die Geschichte von der Grenzöffnung an, die ein hinzukommendes Ehepaar bestätigte. Zu fünft ging es in Richtung Innenstadt und bald waren sie am Kürfürstendamm. Als dort die ersten Ost-Berliner von der Bornholmer Straße und anderen Grenzübergängen eintrafen, saßen Andreas Groß und sein Schwager schon beim zweiten Glas Bier im Irish-Pub.

Grenztruppen-Offizier Schäfer hat seine eigene Erklärung für die einseitige Aufmerksamkeit auf das Geschehen an der Bornholmer Straße. „Schon damals spielte Berlin überall die erste Geige, während sich unser Grenzübergang auf Brandenburger Gebiet befand.“ Hier habe kein Reporter von den Ereignissen Notiz genommen. Claus-Dieter Steyer

Im ZDF läuft heute um 20.15 Uhr die Dokumentation „Der schönste Irrtum der Geschichte – Wie die Berliner Mauer wirklich fiel“. Darin berichten die Autoren auch über die Ereignisse an der Waltersdorfer Chaussee .

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