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Erntezeit. Bis vor 25 Jahren fuhren hier statt Mähdreschern nur DDR-Grenzsoldaten entlang. Seit 14 Jahren steht auf dem einstigen Mauerstreifen in Mitte die Kapelle der Versöhnung, daneben baut die Gemeinde seit einigen Jahren Roggen an.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mauergedenkstätte Bernauer Straße: Mähen für den Weltfrieden

An der Bernauer Straße wird gerade ein ganz besonderer Roggen geerntet. Die evangelische Versöhnungsgemeinde hat das Feld dort angepflanzt - als symbolträchtiges Zeichen auf dem einstigen Todestreifen. Das Getreide soll den Lebenskreislauf versinnbildlichen.

Erstaunlich, was für kleine Mähdrescher es gibt. Einer davon fährt an diesem Freitagvormittag im Uhrzeigersinn von außen nach innen auf dem Gelände der Mauergedenkstätte Bernauer Straße herum, rasiert das schüttere Getreidefeld zu einem stoppelbewehrten Acker. Es staubt gehörig, Helfer zupfen Stroh aus der Maschinerie, füllen die Roggenkörner in kleine Säcke. Rund tausend Quadratmeter Fläche sind abzuernten, Touristen laufen herum, staunen: Diese effektiven Deutschen nutzen echt jeden Fleck.

Mauerpfarrer Manfred Fischer hatte die Idee zum Roggenanbau

Aber es handelt sich natürlich nicht um Nahrungsmittelproduktion, sondern um eine rein symbolische, ja geradezu hochsymbolische Aktion. Der Roggen steht nicht einfach so auf beiden Seiten der „Kapelle der Versöhnung“, sondern versinnbildlicht dort seit nunmehr neun Jahren den Lebenskreislauf. Er war ein Lieblingsprojekt des „Mauerpfarrers“ Manfred Fischer, der im vergangenen Jahr kurz nach seiner Pensionierung gestorben war.

Axel Klausmeier, der Direktor der Mauergedenkstätte, trägt den Gedanken weiter. „Das Roggenfeld hat einen Ort der Angst und Gewalt in etwas Lebensspendendes verwandelt“, sagt er, „ein symbolträchtigeres und nachhaltigeres Zeichen könnte man im ehemaligen Todesstreifen kaum setzen.“

Die Erntemenge spielt dabei keine wesentliche Rolle. 2013 sei sie sehr klein gewesen, weil es während der Aussaat sehr feucht gewesen sei, erinnert sich der Direktor, dieses Jahr sei das Ergebnis mittelmäßig. Doch da es um Symbole geht ... Anders als zu den Zeiten des dilettantischen Anfangs lässt sich die Versöhnungsgemeinde nun von der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität beraten.

Aus dem Roggen werden Brot und Oblaten gebacken

Im Grunde geht es um einen einfachen Vorgang: Zum richtigen Zeitpunkt säen, auf gutes Wetter hoffen und bei Reifung und Trockenheit ernten; Rasen würde mehr Pflege erfordern. Und anderes Getreide als der recht anspruchslose Roggen gedeiht auf dem kargen Sandboden in der Bernauer Straße nicht. Aber die Namen der Straßen in der Umgebung weisen darauf hin, dass der Nahrungsmittelanbau dort Geschichte hat: Ackerstraße, Gartenstraße. Die Versöhnungsgemeinde wird aus dem Roggen Brot und Oblaten backen lassen – wer etwas davon haben will, der sollte zum Erntedankfest vorbeikommen und sich spendenfreudig zeigen. Selbst das Stroh darf noch einem nützlichen Zweck dienen, denn es wird zum Reiterhof Kosa in Französisch Buchholz gebracht.

Aktion ,,Friedensbrot" erfolgt 25 Jahre nach dem Fall der Mauer

Auf Pfarrer Fischer geht nun auch der nächste Schritt zurück. Er hatte Roggenkörner aus den vorangegangenen Ernten in die Länder des Ostens geschickt, die 1989 ihre Freiheit zurück gewonnen hatten. Die daraus entsprungene Ernte wird in diesem Jahr zurückerwartet. In der Aktion „FriedensBrot“ soll das Korn nun 25 Jahre nach dem Fall der Mauer in der Versöhnungskirche verbacken werden. Klausmeier betonte, dies zeige, in welchem Maße der Gedenkstätten-Roggen nicht nur für Leben, sondern auch für Frieden stehe.

Die ovale Kapelle aus Holz und Lehm steht auf dem Fundament der alten Versöhnungskirche, die 1894 von Königin Auguste Viktoria eingeweiht worden war. Sie wurde 1985 von den Ost-Berliner Behörden gesprengt, weil sie im Niemandsland stand und den Überblick über den Todesstreifen einschränkte. Fischer hatte den Neubau in hartnäckiger Arbeit als besonderes Zeichen „im Dreiklang von Gedenkstätte, Dokumentationszentrum und Kapelle“ konzipiert und durchgesetzt.

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