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Berlin: Mediziner-Streik: Interview: Verlustgeschäft Kassenpatienten

Herr Rouven, warum wollen die Ärzte schon wieder streiken? Was soll diese zweite Protestwoche nach den Praxisschließungen im Oktober 2000 bringen?

Herr Rouven, warum wollen die Ärzte schon wieder streiken? Was soll diese zweite Protestwoche nach den Praxisschließungen im Oktober 2000 bringen?

Die Situation hat sich seit dem ersten Protest nicht verbessert. Wir haben mit den Kassen zwar erfolgreich über Honorarerhöhungen verhandelt. Das bedeutet aber nur, dass die großen Kassen wie AOK, Techniker, die Ersatzkassen noch ganz ordentliche Kopfpauschalen an die Kassenärztliche Vereinigung zahlen: Etwa 1000 Mark im Jahr pro Patient. Diese Kassen verlieren aber immer mehr Patienten an die billigeren Krankenkassen, vor allem an die Betriebskrankenkassen, die nur rund 400 Mark zahlen. Es ist also immer weniger Geld im System: Wir hatten 2000 rund 50 Millionen Mark weniger im Honorartopf als 1999, das sind pro Arzt 10 000 Mark weniger im Jahr - auf durchschnittlich 75 000 Mark brutto. Deshalb zielt die neue Protestwelle vor allem darauf, den ruinösen Kassenwettbewerb anzugreifen.

Gibt es auch Ärzte, denen es gut geht?

Es soll sie geben. Die Frage ist: Hat man Privatpatienten oder nicht? In Innenstadtbezirken wie Mitte und Kreuzberg-Friedrichshain hat man zwei Prozent Privatpatienten, in Zehlendorf zwanzig Mal mehr. Kassenpatienten zu behandeln, ist fast durch die Bank ein Verlustgeschäft. Als Internist bin ich beim Punktwert für meine Leistungen mit am schlechtesten dran: Für ein bis zu 15-minütiges Gespräch mit Patienten, in dem ich Untersuchungsergebnisse erkläre, den Blutdruck einstelle, abhöre ... bekomme ich 50 Punkte à 3,8 Pfennige - also 1,90 Mark. Zehn bis 15 solcher Kontakte habe ich am Tag.

Hand aufs Herz - wie lange reden Sie wirklich mit den Patienten?

Unter fünf Minuten sitzt hier keiner.

Wie können Sie dann überleben? Die Praxisräume wirken ja durchaus repräsentativ: Sanierter Altbau, Kristallleuchter, üppig ausgestattet mit Apparaten ...

Es ist zur Zeit extrem schwer. Ich muss mich fragen: Wie vermeide ich die Pleite? Dieses Gerät hier (zeigt auf den Echokardiographen) ist elf Jahre alt. Eigentlich müsste es alle fünf Jahre erneuert werden, aber ein neues kostet 200 000 Mark. Neulich hat ein Patient gesagt, er wolle doch bitte die neueste Technik haben für sein gutes Geld.

Aber Sie gehen nicht wirklich pleite ...

Vorläufig nicht, aber nur weil wir Personal reduziert haben: Von fünf Praxishilfen haben wir nur noch zwei und eine Auszubildende. Sie werden bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit beansprucht. Es gibt immer weniger Jobs für Arzthelferinnen in Berlin. Viele Praxen behelfen sich mit 630-Marks-Jobs.

Warum werden kaum Praxispleiten bekannt?

Es gibt darüber keine Daten. Die Situation spitzt sich in diesen Monaten zu. Allein gestern habe ich mit drei Kollgen gesprochen, die noch diesem Quartal schließen müssen. Und es gibt zahllose versteckte Pleiten: Etliche Praxen haben ihre modernen Geräte an die Äpotheker- Ärztebank verpfändet. Betroffen ist die gesamte Innere Medizin mit hohem diagnostischen Aufwand: Nephrologen mit Dialysepraxen, Gastroenterologen, die ambulant Bauchspiegelungen vornehmen, aber auch ambulante Operateure. Wenn die Inhaber zahlungsunfähig sind, übernimmt es die Bank, einen neuen Mutigen zu finden.

Gehen Sie abends mit dem Gefühl nach Hause, ihre Patienten gut behandelt zu haben?

Ich habe zumindest das Gefühl, es versucht zu haben. Die technischen und sachlichen Voraussetzungen dafür sind aber mit der Zeit immer schlechter geworden. Ich versuche, meine Patienten zu halten und zu pflegen durch Zuwendung, durch Selbstausbeutung und Ausbeutung meiner Mitarbeiter.

Herr Rouven[warum wollen die Ärzte schon wie]

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