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Berlin: Mehr Spaß am Untergang

Das Theaterspektakel „Titanic live“ im Babylon lädt zum gemeinsamen Absaufen und Überleben ein.

Meine Güte, kann der Pfarrer fluchen. „Verdammte Scheiße“ poltert er, als er nach einem Fehltritt fast über die Reling des Dampfers fällt. Ob man diesem Seelsorger wirklich die eigene anvertrauten sollte? Schwierig. Besonders, weil dies nur ein falscher Pfarrer und kein lecker Seelenverkäufer auf dem Ozean, sondern nur die Präsentation der Theatershow „Titanic live“ oben auf der Empore im Babylon Mitte ist. Auch das umtriebige Kino am Rosa-Luxemburg-Platz will zum 100. Untergangsjubiläum des sinkbarsten unsinkbaren Schiffs der Welt nicht hintanstehen und macht im April bei den globusumspannenden Erinnerungsaktivitäten mit. Allerdings nach seiner Facon und die ist riskanter als Devotionalienschauen oder das Vorführen von James Camerons Film „Titanic“ in 3-D.

„Für mich ist das Ereignis die Mutter, ja die Matrix aller Katastrophen“, sagt Timothy Grossmann vom Babylon, der sich die Zeitreise in die Nacht des 14. April 1912 ausgedacht hat. Da kollidierte der stolze Dampfer der White Star Linie bekanntlich um 23.40 Uhr südöstlich von Neufundland mit einem Eisberg, riss 1500 Menschen in den nassen Tod und fungiert seither als mythenumwabertes Fanal menschlicher Hybris und Technikgläubigkeit.

Und ausgerechnet das soll Vorlage für ein als „Edutainment“ umschriebenes Theaterhappening sein? Ja, nickt Johann Jakob Wurster, der künstlerische Leiter, der die Show mit seiner Improtheatertruppe Theatersport gestaltet. „Wir gehen ja nicht auf die Sensation und spielen keinen Untergang mit schreienden Leuten nach“, sagt er. Sondern? „Wir setzen uns spielerisch mit dem Thema Untergehen und dem Prinzip Hoffnung auseinander.“ Das heißt etwa, dass die Geschichten von Heizern, Auswanderern oder Versicherungsmaklern, die auf dem Schiff fuhren, weitergespielt werden, als hätte es diesen Abend im April nie gegeben. Wie bei jedem Impro-Theaterabend, kann auch auf dieser abstrakten „RMS Titanic“ alles passieren, was das zum Mitmachen aufgeforderte Publikum will.

500 Plätze gibt es, sagt Timothy Grossmann, der 30 Leute als „Erste-Klasse-Passagiere“ mit einigen Gängen aus dem Originalmenü des Abends verköstigen lässt. Dazu gibt es einen Eintrittsparcours durch drei Passagierdecks und den Maschinenraum, Musik und einige Gäste, die die von den Machern gewünschte Denkverbindung zu heutigen Untergangsszenarien herstellen: Ken Jebsen, gerade als Moderator bei Radio Fritz mit Pauken und Trompeten untergegangen, interviewt das Publikum zu eigenen Untergangsängsten und Überlebensfantasien. Britta Steffenhagen von Radio Eins moderiert. Carsten Brönstrup, Wirtschaftsredakteur beim Tagesspiegel, spricht über ökonomische Untergänge und Euro-Rettung, ein Croupier erzählt vom Scheitern am Spieltisch und der Kapitän Christoph Felsenstein berichtet als promovierter Fachmann über das Schifffahrtsrisiko Eisberge auf hoher See. „Untergehen, in einem Boot sein, nicht wissen, was zu tun ist – das ist doch gerade Zeitgeist“, sagt Timothy Grossmann. Da könne es durchaus vergnüglich sein, gemeinsam Rettungsideen durchzuspielen. Von einem Matrosen der „Titanic“ kann man jedenfalls lernen: Er hat sturzbesoffen zwei Stunden im eisekalten Wasser überlebt. Gunda Bartels

Babylon Mitte, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Sonnabend 14. April, 22 Uhr, Karten: 50 Euro (1. Klasse mit Menü), 20 Euro

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