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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Baut euch euer Haus!

Früher investierte unsere Kolumnistin ihre Altersvorsorge in Schuhe, heute bleibt ihr bei Post vom Vermieter das Lachen im Hals stecken. Doch gemeinsam sind auch die Schwachen mächtig, zum Beispiel in Genossenschaften.

Mein erstes Silvester in Berlin war das Millennium. Ich stand mit Kollegen in Mitte auf dem Balkon unseres neuen Büros, wir schauten auf die Kuppel des Reichstages und stießen mit Sekt an, den wir damals noch mit der D-Mark bezahlt hatten. Ich lebte das Leben eines Großstadt-Singles. Meine Tage waren gut strukturiert: Arbeiten, feiern, schlafen, arbeiten, feiern, Schuhe kaufen. Ein Freund prophezeite mir, dass ich als alte Frau in meinen Schuhen wohnen müsse, weil er niemanden kenne, der seine gesamte Altersvorsorge in Schuhe investiere. Ich lachte ihn aus.

Heute bleibt mir das Lachen im Hals stecken, wenn ich Post von meinem Vermieter bekomme. Ich habe Freunde, die erhalten Mieterhöhungen, wie andere Leute ihren jährlichen Steuerbescheid. Pünktlich wird gesetzlich zulässig die Staffelmiete angehoben, ohne dass auch nur eine Schraube am Haus nachgezogen worden wäre.

Von meiner ofenbeheizten Studentenbude in Duisburg bis zur ersten Yuppie-Wohnung in Berlin-Mitte lag auch schon ein ordentlicher Sprung im Mietzins. Er lief aber entlang meiner Einkommenszuwächse. Aus Mitte bin ich weggezogen, als meine Wohnung den doppelten Mark-Betrag in Euro kostete, was früher einmal ein Viertel des D-Mark-Wertes war. Diesem Mieteinnahmenwirtschaftswunder konnte ich nichts mehr entgegensetzen.

Dass diesen Mietsteigerungen niemand Einhalt gebietet, kann natürlich auch eine Variante sein, Ruhe in die Stadt zu kriegen. Wenn erst alle, die noch nicht viel haben, am Rande der Stadt wohnen, ist es innen drin schön ruhig. Wie langweilig wird es dann, wenn nur noch die, die nichts mehr brauchen, in ihrer gepflegten Langeweile den Rhythmus der Stadt bestimmen? Degenerieren statt integrieren im Zeitlupenmuseum der Saturiertheit.

Als ich mich neulich hinreichend genug echauffierte und einem Freund sagte, der Politik fällt dazu offensichtlich nur notariell beglaubigtes Achselzucken ein, nahm er das grinsend auf und meinte: „Im Bundestag sitzen eben mehr Hausbesitzer und Vermieter als Mieter.“ Bewusstsein kommt übrigens von bewusst sein.

Frei nach Hölderlin: Wo die Not am größten, wächst das Rettende auch. In Kreuzberg wehrten sich in den siebziger Jahren doch auch die Alteingesessenen, die langhaarigen Studenten und die Türken gemeinsam gegen die Spekulanten.

Also müssen wir uns wieder organisieren. Große Quartiere in möglichst kleinteilige Wohnungen zu zerlegen, maximiert die Rendite pro Quadratmeter. Das könnte man in Form einer Genossenschaft machen, weil es steuerliche Vorteile bringt, für erträgliche Mieten sorgt und man gemeinsam bestimmt, wie man mit den Mieteinnahmen verfährt. Die einzige Rendite, die man erwirtschaften muss, ist die zur Instandhaltung des Hauses. Mit der Miete zahlt man das Haus ab. Man bringt Kapitalanteile als Sicherheit in die Genossenschaft ein, das minimiert die Zinsen und die Abhängigkeit von externem Kapital. Das Haus ist der Geschäftszweck, der aber keinen Gewinn abwerfen muss.

Man bestimmt zusammen, was geregelt werden muss und baut sich seine Wohnung, je nach Finanzlage und nach eigenem Geschmack. Sozialistischer Unfug? Weit gefehlt. Nach beiden Weltkriegen haben sich Menschen ohne Kapital in Genossenschaften bezahlbaren Wohnraum geschaffen. Warum nicht etwas wiederbeleben, das in schlechteren Zeiten bewiesen hat, dass Gewinnmaximierung kein Naturgesetz ist und gemeinsam auch die Schwachen mächtig sind? Oder wie mein Vater sagen würde. „Ari bal alacak cicegi bilir“ – die Biene kennt die Blume, aus der sie Honig holen kann.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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