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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Danke, es geht mir gut!

Würde steht auch denen zu, die sie ihr Leben lang mit Füßen getreten haben, findet Hatice Akyün. Sie hätte Gaddafi lieber vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gesehen - als blutüberströmt auf Handy-Videos.

Mein Gleichgewicht droht aus der Balance zu geraten. Es scheint, dass sich alles zeitgleich gegen mein Bedürfnis verschworen hat, in geordneten Bahnen leben zu wollen. Da ist großer Klärungsbedarf in der Kita meiner Tochter, ich muss mit dutzenden Formularen durch Ämter stapfen und Infoabende an diversen Schulen besuchen, in der Hoffnung, die bestmögliche Schule für mein Kind zu finden. Und dazu kommt die dunkle Jahreszeit, und Berlin wird wieder so nass und kalt, dass es keiner großen Anstrengung bedarf, Depressionen kafkaesken Ausmaßes ausbrechen zu lassen.

Meinen Blues wollte ich mit einer Freundin bei meinem Lieblingstürken zelebrieren. Als ich mich gerade in meine Winterjacke wickelte, liefen die Bilder aus Libyen: Sirte ist gefallen und Gaddafi tot. Ich sah verwackelte Handy-Videos, die einen blutüberströmten Diktator zeigten. Mir sind solche Bilder zuwider. Würde steht auch denen zu, die sie ihr Leben lang mit Füßen getreten haben. Das ist der Unterschied zwischen Zivilisation und Barbarei.

Wie viele beim Kampf für Demokratie und Freiheit in Libyen gestorben sind, weiß niemand. Es weiß auch niemand, wie es weitergeht und wohin die Freiheit führen wird.

In Berlin haben wir Demokratie. Die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Rot und Grün erschöpfen sich in 3200 Meter Autobahn und einer sehr freihändigen Auslegung des Bundesverkehrswegeplans. Auch wenn die Gegensätze zwischen Rot und Schwarz größer sind, sind sie ein Klacks verglichen mit den Gräben, die jene zu überbrücken haben, die auf dem Weg zur Demokratie den Preis so vieler Gräber entrichten müssen.

Wie viele von uns hatten wohl „Das Grüne Buch“ von Gaddafi im Bücherregal stehen? In seinen Operettenuniformen sah der schillernde Herrscher fast wie ein Popstar aus. Mit seinen Ölmillionen kaufte er sogar einen Eishockeyklub in Deutschland, den er mit einem Koffer Geld sponserte. Es wäre interessant geworden, ihn vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu hören. Wie er die jahrelange Freundschaft der Staatengemeinschaft und seine Rehabilitation genoss. Paris, Rom, Washington, Berlin, Moskau, Peking, alle machten sie Geschäfte mit ihm. Und die Milliarden, die im Bürgerkrieg eingefroren wurden, mussten ja zuerst einmal zu ihm kommen. Dass es sich nicht um steuerfreie Schichtzulagen, Wochenendzuschläge oder Bausparverträge gehandelt haben dürfte, sollte jedem einleuchten.

Was geht es mir doch gut. Ich kann den Verantwortlichen in der Kita Dampf machen. Wenn das nicht reicht, gehe ich zum zuständigen Bezirksstadtrat. Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass man mich nicht mehr freundlich grüßt. Hier kann ich zwischen Schulen wählen, auch wenn der Papierkram nervt. Meine Rechte sind verbrieft. Ein unbezahlbarer Luxus. Ich kann wählen gehen, wenn sie mir alle nicht passen, sogar meine eigene Partei gründen. Ich bin gepudert und in Watte gepackt, verglichen mit jenen, die sich unter Lebensgefahr freistrampeln müssen, ohne die geringste Gewissheit zu haben, dass ihr Leben besser werden wird.

Unsere Stolpersteine tragen auch schillernde Namen: Bankenskandal, soziale Missstände, Bildungsmisere, Perspektivlosigkeit, Pflegenotstand und Altersarmut. Wir könnten weitaus mehr, wenn wir wirklich wollten. Und wir sollten mit denen, die unsere demokratischen Werte nicht teilen, keine Geschäfte machen. Schmutzige Hände kann man nicht in Unschuld waschen. Oder wie mein Vater sagen würde: Paranin yüzü sicaktir – Geld macht ein freundliches Gesicht.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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