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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Zuckerfest für jedermann!

Bayram und Weihnachten haben viel miteinander gemeinsam, meint unsere Kolumnistin Hatice Akyün. Und schlägt vor, das Zuckerfest als offiziellen Feiertag einzuführen.

Wird Ihnen auch heimelig und Sie bekommen Anfälle von Gefühlsbewegungen, wenn Sie an Weihnachten denken? Ganz egal, ob Sie ganzjährig gläubig sind, bloß Heiligabend in die Kirche gehen oder nur Kirchensteuer zahlen? Weihnachten bedeutet Erinnerung, es geht um Rituale und darum, mit der Familie zusammenkommen und sich unwidersprochen von ihr vereinnahmen lassen.

Wenn ich es nun geschafft haben sollte, Sie emotional aufzuwärmen, können Sie vielleicht verstehen, was für eine Muslime das Wort Bayram bedeutet. Wenn ich das Wort nur höre, bekomme ich Glücksgefühle: BAY-RAM. Das Wort klingt nach Kindheit, nach Duisburg, nach Familie, nach der Stimme meines Vaters, wie er am Morgen die Koransuren singt. Es löst ein Gefühl von Vertrautheit aus.

Morgen ist wieder Bayram, das muslimische Zuckerfest. In den nächsten Tagen werde ich in dem Haus wohnen, in dem ich aufgewachsen bin, mich von vielen Menschen umarmen und küssen lassen und stundenlang in Küchen sitzen, deren Gerüche ich nur allzu gut kenne. Ich werde mich die nächsten Tage großartig fühlen, auch wenn ich schräg auf dem Sofa liege und meinen vollen Bauch von mir strecken muss. Während wir uns gequält bedienen, wird meine Mutter mit immer neuen Schüsseln aus der Küche kommen und sagen: „Süß lass uns essen, süß lass uns reden.“ Ich werde nicht wieder wegwollen und bin mit allem einverstanden, ohne zu wissen, worauf dieses Einverständnis eigentlich beruht.

Auch meine türkischen Freunde, die nicht gefastet haben, werden Bayram feiern. Mehr oder weniger heftig, je nachdem, wie tief und weit der eigene Verwandten- und Bekanntenkreis reicht. In Berlin laufen Gruppen und Grüppchen mit in Alufolie eingepackten Tabletts und Schüsseln in der Hand durch die Straßen. An Bayram holen wir die Verwandtschaft ins Haus, und wenn sie nicht vor Ort ist, dann holen wir sie mit Telefonen oder via Skype in unsere Nähe. Sämtliche Telefonnetze in die Türkei werden wie jedes Jahr zusammenbrechen, und man wird kurz nach Mitternacht glücklich einschlafen, weil doch noch eine Verbindung zustande gekommen ist.

Ich habe einen Freund, der katholisch ist. Er lebte jahrelang mit einer Türkin zusammen. Während der Fastenzeit ist er ihr zuliebe nachts aufgestanden und hat seiner Freundin etwas zu essen gemacht. Ansonsten hielt er sich aus dem religiösen Teil heraus. Er hat in ihrer Gegenwart weder gegessen noch getrunken noch geraucht. An den drei Feiertagen des Zuckerfestes musste er allerdings die Wohnung räumen, damit seine Freundin mit den Verwandten das Zuckerfest feiern konnte. Er sagt, die große Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Türken bestehe darin, dass sie scheinheilig seien. Er als heimlicher Freund konnte unmöglich dabei sein, und so hielt er sich fern von der Verwandtschaft.

Was wäre eigentlich so verkehrt daran, den Muslimen in Deutschland einen offiziellen Feiertag zuzusprechen? Christen und Muslime hätten gemeinsam frei, um Bayram zu feiern. Das absatzorientierte Halloween hat sich bei uns doch auch ohne Gegenwehr durchgesetzt. Ich fordere hiermit Bayram für alle. Es sollte ein religionsübergreifendes Fest sein. Schließlich feiere ich auch Weihnachten, ohne Christin zu sein. Ich kaufe einen Tannenbaum, schmücke ihn gemeinsam mit meiner Tochter, packe Geschenke ein und brate eine große Gans. Wir leben alle in einem Land, unterstehen alle denselben Gesetzen, haben alle die gleichen Wünsche. Und diejenigen, die von uns glauben, beten alle zum gleichen Gott. Bayram als Feiertag wäre ein Zeichen, dass die Konkurrenz der Religionen letztendlich ohne Sinn ist.

Oder wie es mein Vater sagen würde: „Namazda meyli olmayanin kulagi ezanda olmaz – wem der Sinn nicht zum Beten steht, der hört auch nicht den Muezzinruf.“

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin.

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