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Berlin: Mein Engel

Paten finanzieren die Restaurierung historischer Altarfiguren der Nikolaikirche – eine Geschichte über Bürgersinn in Zeiten finanzieller Probleme

Himmlische Geschichten können sehr profan beginnen. Mit einer Inventarnummer beispielsweise. Ein paar Ziffern, eingeritzt ins Gewand eines Engels, der seit werweißwann auf dem Dachboden des Märkischen Museums verstaubte. Ende der 90er Jahre entdeckten ihn Museumsmitarbeiter: verwittert, aber lächelnd, unter Taubendreck und Kleinholz. So dürfte er die Zeiten zwischen den Kanzlern Bismarck und Schröder verbracht haben. Die Nummer und der zugehörige Eintrag im Inventarbuch des Museums wiesen den Weg zurück: „Engel aus der Nikolaikirche, 30. Mai 1876“. Damals hatte der Engel seinen Platz in der Kirche räumen müssen: Bei einer neugotischen Umgestaltung des Kirchenschiffs wurde der barocke Holzaltar kurzerhand abgerissen. Der Engel, der 161 Jahre lang gemeinsam mit drei Artgenossen sowie vier Putten und vier allegorischen Figuren auf dem Altar gesessen hatte, entschwebte in die Rumpelkammer des „Märkischen Provinzialmuseums“.

Kaum war der Engel wieder unter Menschen, begeisterte sich der pensionierte Stadtrat Horst Kollat für ihn und bezahlte seine Restaurierung. Und auf dem Dachboden des Märkischen Museums begannen Mitarbeiter zu puzzeln: Sie drehten und wendeten die herumliegenden Holzteile und fügten sie aneinander, bis die Fragmente zu Figuren mit Hand und Fuß wurden. Die Ähnlichkeit der Funde mit dem erhaltenen Engel ließ keinen Zweifel an der gemeinsamen Herkunft zu. Bald war fast die ganze himmlische Heerschar beisammen, die einst den barocken Altar bevölkert hatte. „Zwei Putten fehlen noch“, sagt Albrecht Henkys, stellvertretender Chefrestaurator der Stiftung Stadtmuseum. „Aber ich kann mir vorstellen, dass wir die auch noch finden.“ Jahrhunderte alte Museumsdepots sind nun einmal unübersichtlich, und über fehlende Kleinigkeiten wie Zehen oder Finger sieht Henkys hinweg. Die kann man nachbilden oder später anbauen oder einfach weglassen, sagt er. Sind ja keine Oldtimer.

Der restaurierte Engel schwebt jetzt etwa an der Stelle in der Nikolaikirche, an der er einst seinen bequemen Platz auf dem pompösen Altar hatte. Mit seinem aufwändig gebügelten Gewand und der hellen Farbe tut er ein bisschen, als wäre er aus Marmor, obwohl er in Wirklichkeit aus Lindenholz besteht. Und sein geheimnisvolles Lächeln strahlt so frisch wie einst.

Bei Frau Heyland hat es gleich gefunkt. Sie verliebte sich bei der Ausstellung „Kulturgut erhalten“. Albrecht Henkys hatte damals gerade begonnen, um Patenschaften für die anderen Engel zu werben. Deshalb wählte er als Symbolbild für die Ausstellung auch einen gebrochenen Flügel. Frau Heyland, pensionierte Juristin und Mitglied der Stiftung Stadtmuseum, schaute dem Vorzeige-Engel ins lächelnde Gesicht – und ging wieder, weil sie ihn erst Frau Schrader vorstellen wollte. Frau Schrader ist eine Freundin von Frau Heyland und war gerade im Urlaub. Im Spätsommer kamen beide Damen gemeinsam zu Albrecht Henkys in die Nikolaikirche, um die Engel zu begutachten: den schicken schwebenden und die ergrauten vom Dachboden. Nachdem sich alle Beteiligten nochmals tief in die Augen geschaut hatten, entschlossen sich Frau Heyland und Frau Schrader zur Adoption. Kosten: 8000 Euro.

Frau Heyland macht nicht viel Aufhebens, sagt nur: „Das ist gut angelegtes Geld. Es gibt ja nicht viele Barock-Engel in Berlin. Dieser hier gefiel mir ganz außerordentlich.“ Sie sieht ihre Patenschaft auch als Symbol gegen die Zeit, in der Vandalismus normaler ist als bürgerliches Engagement und in der zwar Hauswände besprüht werden, aber das Geld nicht reicht, um Kulturgüter zu retten. „Der Engel ist doch etwas, das Berlin zugute kommt“, sagt Frau Heyland. Der Adoptierte wurde zu einem Restaurator ins brandenburgische Wünsdorf gebracht. Im Mai könnte er in alter Schönheit in die Nikolaikirche zurückkehren, hofft Albrecht Henkys.

Die beiden anderen Engel liegen in der Kirche und warten auf ihren Erlöser. Henkys hat sie – ohne Flügel, damit sie nicht geklaut werden – auf terrakottafarbene Sockel mit Blasenfolie gehievt. Sie sind grau, aber immerhin haben sie keine Würmer. Wenn man genauer hinschaut, sieht man ihre angeborenen Schönheitsfehler: Aus ihren Schultern ragen rostige Nägel, die wohlgeformten Hüften sind einem Klecks Mörtel zu verdanken und die Arme sind ganz normale Äste, auf deren Bearbeitung nicht viel Zeit verwendet wurde. Im Mittelalter wäre das nicht passiert, sagt Henkys. „Aber ich finde das sympathisch. Das hat so etwas Diesseitiges.“

Peter S., 68, will zwar nicht mit seinem vollen Nachnamen in der Zeitung stehen, ist aber ansonsten auch ein Freund des Diesseitigen. Im November traf er Henkys bei einer Antiquitätenausstellung im Automobilforum Unter den Linden. Sie kamen ins Plaudern, der Restaurator lud ihn und seine Frau ins Museumsdepot ein und steckte das Paar mit seiner Begeisterung für die Barockfiguren vom Dachboden an. „Da gab’s ja verschiedene Preisklassen – je nach Größe und Zerstörungsgrad“, erinnert sich Peter S.. Wenn, dann richtig, beschloss der Rentner, der auch schon fürs Stadtschloss und andere Berliner Denkmäler gespendet hat, und überwies 8000 Euro für den Engel, der rechts oben auf dem Altar saß. Das kann einem als Berliner die eigene Geschichte wert sein, findet S. „Der Staat muss sich ja nicht um alles kümmern. Wenn man’s der Steuer überlässt, wird ja mit 20 bis 30 Prozent des Geldes nur Unsinn gemacht.“ Das sagt sich leicht für einen wie Peter S.: Jahrzehntelang hat er als selbstständiger Getreidehändler sein Geld verdient. So einer spendet wohl auch als Ruheständler lieber für Engel als für Eichel.

Solche Leute braucht Albrecht Henkys. Um drei Figuren kümmern sich zwar der Denkmalschutz und die Kunsthochschule Dresden, aber für den Rest der heiligen Schar ist noch keine Rettung in Sicht. Dabei sind Putten schon ab 3000 Euro zu haben. Henkys setzt auf das verführerische Lächeln des Vorzeige-Engels. Der schaut aber im Moment zur Wand. „Hm“, sagt der Restaurator. „Vielleicht sollte ich ihn mal drehen.“

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