zum Hauptinhalt

Berlin: Mein guter Feind

In Berlin trafen sich traumatisierte Jugendliche aus Palästina und Israel – und wurden Freunde

Irgendwann ging es bei Letti nicht mehr. „Hi, I’m Letti. I’m from Jerusalem“, begann sie, und dann erzählte sie, wie sie eines Tages in die Caféteria der Hebräischen Universität kam und just in diesem Moment die Bombe explodierte und acht Menschen in den Tod riss. Fast ein Dutzend Mal hat sie die Geschichte erzählt. Irgendwann hat sie mittendrin angefangen zu weinen. Es war zu viel.

Sechs Jugendliche, drei aus Israel, drei aus Palästina – es ist keine Erholungsfahrt, die sie nach Berlin geführt hat. Das „Friedensprojekt“, an dem sie teilnehmen, ist vielmehr eine harte Konfrontationstherapie. Alle sechs haben den Nahostkonflikt und unmittelbar erlebt und erlitten. So wie Letti. So wie Mohammad, der direkt daneben stand, als sein bester Freund in Ramallah von israelischen Soldaten erschossen wurde. So wie Vered, die ihre Mutter durch einen palästinensischen Selbstmordattentäter verlor.

Das sind die Erlebnisse, die eine Versöhnung so schwierig machen. Und genau da hat der evangelische Jugendpfarrer Christian Weber angesetzt. Mit viel Eigeninitiative und wenig finanzieller Unterstützung von außen hat er zum dritten Mal traumatisierte palästinensische und israelische Jugendliche in Berlin zusammengebracht. „Wenn sogar die es schaffen, miteinander auszukommen, spricht das für sich“, sagt er. Das Ziel? „Sie sollen von dem Leid des anderen hören, ohne reflexartig ihr eigenes Leid dagegen aufzurechnen.“

Die sechs Jugendlichen haben sich nicht gekannt, als sie Anfang November nach Berlin kamen. Zwei Tage haben sie miteinander verbracht, um sich näher zu kommen. Dann sind sie an die Öffentlichkeit gegangen, denn sich den Fragen Außenstehender zu stellen, ist Teil des Projektes. Sie waren in einem palästinensischen Jugendclub, haben sich mit der jüdischen Gemeinde getroffen, waren in Kirchen und Grundschulen. „Was esst ihr denn so?“ haben die Schüler gefragt und „Wieso könnt ihr nicht in einem Land zusammenleben?“ Dann haben sie gequält gelächelt, und haben ihre Geschichten erzählt, von ihrem Alltag berichtet.

Sherin aus Ramallah hat gestenreich beschrieben, wie sie täglich drei Kontrollstellen der israelischen Armee überwinden muss, sie hat von den Erniedrigungen durch die Soldaten erzählt – und sie hat gesagt, dass sie sich nie im Leben hätte vorstellen konnte, mit Israelis an einem Tisch zu sitzen. Bis sie in Berlin war. Jetzt teilt sie mit Letti aus Jerusalem ein Zimmer in der Jugendherberge.

„Wir sind in diesen wenigen Tagen Freundinnen geworden“, sagt Letti. „Und die Gespräche haben mich auch für die Probleme der Palästinenser sensibilisiert.“ Aber es ist eine schwierige Freundschaft. Letzte Woche waren sie in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Da hat Sherin aus Ramallah geweint, erschüttert von so viel Brutalität und Menschenverachtung. Und dann hat sie den Satz gesagt, der Letti bis ins Mark getroffen hat: „Aber gerade weil die Juden so etwas erlebt haben, ist es für mich unverständlich, wieso sie uns Palästinensern täglich die Würde nehmen.“ Letti hat Familienmitglieder im Holocaust verloren, und das klang für sie doch zu sehr nach Vergleich. „Es tut mir weh, wenn ich das aus dem Munde einer Freundin hören“, sagt sie. Aber sie sagt auch, dass sie Sherins Ehrlichkeit schätze. Da ist es wieder: Zuhören, auch wenn es wehtut.

Was werden die sechs mitnehmen, wenn sie morgen nach Hause fahren? „Wenn ich früher an Israelis dachte, dachte ich automatisch an Soldaten an den Kontrollpunkten. Jetzt denke ich auch an Letti“, sagt Sherin. Und Letti sagt: „Diese Projekt ist doch wie ein Spiegel. Wenn ich die anderen ansehe, sehe ich mich selbst.“

Heute findet in der Marthakirche von 17–22 Uhr eine öffentliche Abschlussveranstaltung statt. Interessierte sind herzlich eingeladen: Glogauer Str. 22, Kreuzberg.

Peter Kasza

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false