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Berlin: „Mein Kurs ist wichtiger als der Beifall der Partei“

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedbert Pflüger will die Berliner Union erneuern. Im Parlament setzt er auf Grüne und FDP

Seit einem Dreivierteljahr führen Sie die größte Oppositionsfraktion des Abgeordnetenhauses. Wie finden Sie die Berliner Streitkultur?

Sehr gut, aber im Abgeordnetenhaus verbesserungsfähig. Zu viel Polemik, zu wenig Sachlichkeit. Und mich stört, dass ich nur selten Gelegenheit habe, den Regierenden Bürgermeister direkt zu stellen. Im Bundestag gibt es die Auseinandersetzung Kanzler-Oppositionsführer jede zweite Woche. Im Abgeordnetenhaus kann sich Klaus Wowereit nach einer langen Fragestunde aussuchen, ob er in die Debatte eingreift.

Weicht er Ihnen aus?

Wenn es um für ihn unbequeme Themen geht, lässt er seine Senatoren sprechen. So ist es meistens. Wenn es mal etwas Positives zu verkünden gibt, macht er eine Regierungserklärung. Wir sollten an der Geschäftsordnung des Parlaments das ein oder andere ändern – auch um das Plenum interessanter zu machen.

Dem Senat fällt – nach Jahren harter Sparpolitik – derzeit einiges in den Schoß. Bedauern Sie das?

Dass wir in Berlin durch die Gesamtentwicklung in Deutschland und durch die gute Politik der Bundesregierung Steuermehreinnahmen haben, wird niemand bedauern. Unsere Stadt hat jetzt, nach der Katastrophe des Karlsruher Urteils, wieder Luft zum Atmen. Ich freue mich darüber. Doch muss klar sein: Was wir an Mehreinnahmen haben, verdanken wir zum allergrößten Teil nicht dem rot-roten Senat.

Der Senat gibt etwa für Sozialpolitik jetzt mehr aus. Ist das falsch?

Bisher gibt es viele Ankündigungen. Wir werden uns zu den einzelnen Haushaltsthemen dann positionieren, wenn wir wirklich wissen, was der Senat will. Ich sehe gravierende Streitpunkte in der Koalition. Wie geht es weiter mit der Tarifpolitik im öffentlichen Dienst? Kommt der Ausstieg aus dem Solidarpakt? Oder bleibt es beim Konsolidierungskurs? Dafür hat sich vor kurzem – was ich richtig finde – der SPD-Fraktionschef Michael Müller ausgesprochen. Die Schulpolitik: Die PDS will mehr Geld für die Gemeinschaftsschulen. Hinzu kommt: Die Risiken der Haushaltsentwicklung sind enorm. Ich erinnere nur an das absehbare Ende des Solidarpakts und an die steigenden Berliner Pensionslasten.

Die Union hält sich mit Grundsatzentscheidungen etwa in Sachen Wohnungsverkäufe oder Entsorgung zurück – warum?

Nicht die Opposition regiert, sondern der rot-rote Senat. Davon abgesehen, trägt die Fraktion die Linie, die ich schon im Frühjahr skizziert habe: Wir unterstützen im Grundsatz den Konsolidierungskurs des Finanzsenators gegen die Linke.

Der neue Mietspiegel zeigt, dass die Mieten steigen. Gleichzeitig verkauft die Wohnungsbaugesellschaft Mitte 3000 Wohnungen. Ist das der richtige Weg?

Wir sollten beim Aktivieren des Vermögens der Stadt pragmatisch vorgehen. Die CDU ist kein Anhänger der reinen FDP-Lehre, die alles privatisieren will. Wir würden aber auch nicht den Verkauf von kommunalem Vermögen grundsätzlich ausschließen, wie es Rot-Rot im Koalitionsvertrag tut. Berlin bezahlt allein 2,5 Milliarden Euro Zinsen jährlich, da darf man den Verkauf von Landesvermögen nicht zum Tabu erklären! Geprüft werden muss im Einzelfall: Wie steht es mit der Sozialverträglichkeit? Auch hier sind wir Sarrazins Positionen näher als die Linke.

Klaus Wowereit regiert mit der Linken und beherrscht sie. Ist diese Partei nur ein Problem der SPD oder verändert sie nachhaltig das Parteiensystem?

Bei der denkbar knappen Mehrheit, die Rot-Rot hat, kann von „Beherrschen“ der Linken durch Wowereit nicht im Ansatz die Rede sein. Die Linke geht überall auf Stimmenfang, wo es Protest gibt – auch auf dem ganz rechten Flügel. Das wissen wir seit Lafontaines „Fremdarbeiter“-Äußerung. Die Linke ist eine Mischung aller möglichen Protestbewegungen. Ich glaube, dass Wowereits Umgang mit der Linken für die Sozialdemokratie langfristig fatal ist.

Warum?

Die Strategie der Bekämpfung der radikalen Flügel rechts und links war lange Zeit der Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland. Wowereit hat ihn in Berlin erstmals gebrochen. Gerade mit Blick auf den heutigen 13. August gilt: Mit den Verharmlosern und Relativierern von SED-Unrecht darf es kein Bündnis geben. Die SPD zahlt für diesen Sündenfall den Preis, dass sie tief in die Zwanzig-Prozent-Werte bundesweit abgerutscht ist.

Aber in der PDS haben viele den Eindruck, dass vor allem sie für ihren Pragmatismus in Berlin kräftig bezahlen…

Für die Regierungsbeteiligung in der Berliner Landespolitik zahlt die PDS in der Tat einen Preis. Sie wird auch immer wieder zeigen müssen: Gilt der populistische, alles versprechende Kurs von Oskar Lafontaine? Oder versucht die Linke, sich der Realität anzunähern? Sie ist weit von der Regierungsfähigkeit entfernt – aber Wowereit macht sie salonfähig. Das ist ein großer Fehler.

Tatsächlich ist die Mehrheit in Berlin eher links. Hat da nicht eher die CDU ein Problem?

Warten wir mal ab, wohin sich alles entwickelt. Es gibt immer weniger parteipolitisch auf Dauer festgelegte Wähler. Ich bin mit den CDU-Umfragewerten nicht zufrieden – aber wenn man, wie Wowereit, nach sechs Jahren Regierung bei weit unter 30 Prozent rangiert, kann man nicht sagen, man sei erfolgreich.

Die Berliner Parteienlandschaft ist kompliziert. Würden Sie sagen, dass die CDU in den östlichen Bezirken eine Volkspartei ist?

Klar ist, dass wir stärker werden müssen im Osten. In den letzten Umfragen lagen wir immerhin wieder bei 15, 16 Prozent. Wir kommen langsam voran.

Wie erklären Sie sich das denn?

Wir werden nach wie vor zu stark als „Westpartei“ wahrgenommen. Zu viele Wähler glauben den Sozialparolen der Linken, obwohl Rot-Rot überall die Menschen ärmer macht. Auch beim jetzigen Aufschwung in Deutschland ist Berlin leider Schlusslicht.

Sie sind Verfechter einer Jamaika- Koalition. Was verbindet Sie jetzt und aktuell mit den Grünen?

Ich bin ein Verfechter einer starken CDU und einer konstruktiven Zusammenarbeit der Oppositionsparteien. Ich kann mir vorstellen, ein schwarz-gelb- grünes Projekt auf zwei Säulen aufzubauen: auf wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und auf ökologischer Verantwortung. Ich kann mir einen modernen Konservatismus ohne ein zentrales ökologisches Element schon lange nicht mehr vorstellen. Deshalb verbindet mich mit den Grünen der Kampf gegen den Klimawandel. Das heißt für Berlin: die Ablehnung eines neuen herkömmlichen Kohlekraftwerks. Weiter verbindet mich mit den Grünen ein großer Teil des Lebensgefühls der Stadt. In Berlin sind viele unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Lebensstile zusammen – wie in jeder europäischen Metropole. Das sehe ich zunächst als Bereicherung, nicht als Bedrohung. Doch Freiheit funktioniert nur im Rechtsstaat, der auch durchgesetzt werden muss.

Was halten Sie denn von der Erwägung, dass das Land Berlin wegen der Kraftwerksplanung seinen Strom nicht mehr von Vattenfall beziehen sollte?

Vattenfall hat große Fehler gemacht, könnte aber mit einer enormen Anstrengung etwas sehr Gutes tun. Man könnte hier 2015/16 zeigen, dass man ein Kohlekraftwerk mit vollkommener Kohlendioxydabscheidung und -lagerung bauen kann. Warum setzen wir uns nicht das Ziel: Mit der Bundesregierung, dem Berliner Senat, mit Vattenfall bauen wir das weltweit erste Kohlekraftwerk ohne jede Kohlendioxyd-Ausscheidung! Damit würde Berlin zu einem Leuchtturm in Sachen Klimaschutz für die ganze Welt! Wir würden damit auch industriepolitisch wieder an der Spitze mitspielen.

Sie wollen eine moderne, frauenfreundliche Familienpolitik, sind gegen Atomkraft und betonen die Bedeutung der Ökologie. Kommt da die Partei geschlossen mit?

Es war und ist klar, dass die Partei nach den Streitigkeiten der letzten Jahre Erneuerung braucht. Es gibt eine breite Unterstützung für eine Politik, die die Möglichkeit Jamaika nicht ausschließt. Die CDU ist heute wieder das Zentrum der Opposition. Ich erinnere an unsere Berlin-Konferenz mit FDP und Grünen, an die Ehrenbürgerwürde für Wolf Biermann, an unsere Bemühungen um Industriepolitik im Bereich erneuerbarer Energien, an unsere Forderung, in der Bildungspolitik neue Akzente zu setzen. Es gibt inhaltliche Debatten im Einzelnen. Aber der Streit zeigt, wie ernsthaft die Veränderung ist.

Sie haben vor Wochen im privaten Rahmen mit den Kollegen Fraktionschefs der Opposition zu Abend gegessen. Die Kosten des Essens wurden wenig später öffentlich. Haben Sie mit so einer Intrige gerechnet? War das für Sie eine Warnung?

Alle in der Fraktion sind sich darüber klar, dass sich solche Indiskretionen nicht wiederholen dürfen. Dass ich als Fraktionsvorsitzender die Vorsitzenden der Oppositionsfraktionen und den Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu mir nach Hause eingeladen habe, war richtig. Ich würde es wieder machen. Mit diesem Abend sollte vor allem auch von Weizsäcker, der so viel Berlin und Deutschland getan hat, angemessen gewürdigt werden.

Dennoch: Haben Sie die Veröffentlichung der Kosten als Warnsignal empfunden?

Wenn Sie sich in die Politik begeben und eine Agenda durchsetzen wollen, können Sie es nicht jedermann Recht machen. Meine Fraktion hat mir gegenüber deutlich gemacht, dass sie denjenigen verachtet, der diese Indiskretion begangen hat. Und das glaube ich.

Man hört in der Partei öfter mal Mahnungen, über allen Neuerungen nicht die Stammwähler zu vergessen.

Die Stammwähler werden nicht vergessen. Aber ich will Regierender Bürgermeister werden und muss an die ganze Stadt denken, nicht nur an die eigene Partei. Die Menschen müssen mir glauben und vertrauen: Dass sich einen Kurs habe. Dass ich an diesen Kurs glaube. Und dass dieser Kurs mehr ist, als Beifall in den eigenen Reihen zu erstreben!

Wollen Sie denn, bevor Sie wieder Spitzenkandidat werden, den Vorsitz der Berliner CDU übernehmen?

Partei und Fraktion wollen mit mir an der Spitze Rot-Rot spätestens 2011 ablösen. Solange meine Führungsrolle auf diesem Weg nicht bestritten wird, sehe ich keinen Grund, von mir aus Personalfragen öffentlich aufzuwerfen.

Das Gespräch führten Werner van Bebber und Gerd Nowakowski

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