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Berlin: „Meine Lebensplanung ist es, Regierender zu bleiben“

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wehrt sich gegen den Vorwurf, er kümmere sich zu viel um Partys und zu wenig um Arbeitsplätze Der SPD-Kandidat will keine Einheitsschule und keine Studiengebühren - und sagt über seine bundespolitischen Ambitionen: „Ich bin nicht auf Jobsuche“

Herr Wowereit, was haben Sie in den nächsten fünf Jahren vor?

Die Stadt zu regieren.

Das ist kein Selbstzweck.

Nein, kein Selbstzweck, sondern eine große Aufgabe.

Dafür muss man Wowereit wählen?

Fünf Jahre SPD-geführte Regierung können sich sehen lassen. Vieles wurde verändert, der Mentalitätswechsel ist weitgehend vollzogen. Unsere Leistungsbilanz ist gut. Ich denke, das schafft auch Vertrauen für die nächste Wahlperiode und den Regierenden Bürgermeister.

Die wichtigsten Posten Ihrer Bilanz?

Die Konsolidierung des Haushalts, der Baubeginn für den Großflughafen Schönefeld im September und die Reformen im Bildungsbereich. Berlin wurde international nach vorn gebracht. Der Tourismus boomt, und das Image der Stadt ist sehr gut.

Trotzdem wollen die Bürger wissen: Was kommt in den nächsten fünf Jahren?

Wir werden in Arbeit, Wissenschaft und Bildung investieren. Wir werden an Berlin als Gesundheitsstadt arbeiten und die Stadt als weltoffene, internationale Metropole noch besser positionieren.

Das Image Berlins ist gut, aber reicht es aus, Party-Hauptstadt zu sein?

Ich weiß nicht, was Sie mit Party-Hauptstadt meinen.

Zuletzt war es die Fußball-WM, mit der Berlin im Ausland wahrgenommen wurde. Hier ist immer was los, aber ist das genug?

Nein, das ist nicht das Bild, das die Welt von Berlin hat. Im Ausland wird Berlin mit seiner ganzen wechselhaften Geschichte wahrgenommen, die sich im Stadtbild dokumentiert. Das ist das Interessante an Berlin, hier sind Ost und West zusammengewachsen, hier kommen kreative Menschen aus der ganzen Welt zusammen. Berlin hat eine reiche Kulturlandschaft, ist offen, tolerant, jung und lässt Luft für neue Entwicklungen. Menschen, die von außen auf Berlin schauen, loben die hohe Lebensqualität. Zum guten Image gehören natürlich auch herausragende Events wie die Loveparade und die WM-Fanmeile – unbezahlbare Werbung für unsere Stadt.

Aber was ist Ihre Vision?

Ich wünsche mir Berlin als eine Stadt, wo Menschen aus aller Welt willkommen sind und sich entfalten können, im friedlichen Zusammenleben – das ist das Thema der Zukunft. Dafür müssen wir unsere Stärken noch mehr herausarbeiten: Wissenschaft, Forschung und Technologien, Dienstleistungen, Kreativität. Das wird die Politik in den nächsten Jahren prägen – die Altlasten sind weitgehend abgearbeitet.

Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie für den Wirtschaftsstandort Berlin zu wenig Einsatz zeigen.

Das ist Quatsch. Ich habe allein 2005 über 300 Termine gehabt, die nur mit Wirtschaftsfragen zu tun hatten. Noch mehr Quatsch ist der Versuch, Industrie- und Dienstleistungsarbeitsplätze gegeneinander auszuspielen. Wenn wir nicht den Boom im Tourismus hätten, wären viele tausend Menschen zusätzlich arbeitslos. Das sind keine minderwertigen Arbeitsplätze, die bei den Dienstleistern entstehen. Bei der Industrie werden wir alle Hände voll zu tun haben, die bestehenden 97 000 Arbeitsplätze zu halten. Die Verlagerung der Industrieproduktion nach Osteuropa und Asien ist auch an Berlin nicht spurlos vorbeigegangen. Nach der Wende hat es Umbrüche gegeben, die nicht zu kompensieren waren.

Auch Wirtschaftssenator Wolf sagte, Sie kümmern sich zu wenig um die Probleme.

Das buche ich unter Wahlkampf ab. Bei der Investorenbetreuung gibt es ein abgestimmtes System zwischen mir und Wolf, da hat es nie Probleme gegeben.

Können Bundesländer überhaupt noch wirksam Wirtschaftspolitik betreiben?

In einer globalisierten Welt lässt sich nicht verhindern, dass Großunternehmen ihre Standortentscheidungen außerhalb der betroffenen Standorte treffen. In Berlin sind wir nicht ganz so anfällig, weil die Wirtschaft stark mittelständisch geprägt ist. Aufgabe der Politik ist es, attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen. Bei der Wirtschaftsförderung sind wir gut aufgestellt. Jeder Investor, der sich in Berlin ansiedelt, wird von mir persönlich befragt, wie seine Erfahrungen sind und die Rückkoppelung ist positiv. Auch die oft gescholtenen Bezirke kooperieren meistens hervorragend. Ein wichtiger Standortfaktor ist die Lebensqualität in Berlin, die Kultur und das große Freizeitangebot, aber auch das Superangebot an Kitaplätzen.

Eine kostenlose Kinderbetreuung haben Sie angekündigt. Aber wie steht es mit den Schulen und den Hochschulen, die auch wichtige Standortfaktoren sind? Wird es die Einheitsschule geben, die zuziehende Familien eher abschreckt?

Die SPD hat nicht vor, in Berlin die Einheitsschule einzuführen. Von einem Kulturkampf gegen die Gymnasien halte ich nichts, aber die sechsjährige Grundschule bleibt bestehen. Auf freiwilliger Basis können sich die Schulen gern verändern. Indem beispielsweise Haupt- und Realschulen zusammenfinden oder neue Gesamtschulen entstehen.

Werden in Berlin Studiengebühren eingeführt?

Für das Erststudium wird es keine Studiengebühren geben. Das hat die rot-rote Koalition beschlossen und dabei bleibt es auch, solange nicht bundesweit eine Situation entsteht, die Studiengebühren erzwingt.

Mit der neuen Wahlperiode erhält der Regierende Bürgermeister die Richtlinienkompetenz. Wie wollen Sie, im Falle eines Wahlsiegs, diese neue Macht gebrauchen?

Die Richtlinienkompetenz macht sich besonders bemerkbar bei der Ernennung und Entlassung von Senatsmitgliedern. Ein Regierender Bürgermeister hat da in Zukunft eine stärkere freie Hand, als es bislang der Fall war. Der Koalitionspartner behält trotzdem das Vorschlagsrecht für sein Regierungspersonal und auch in der eigenen Partei und Fraktion werden die Personalvorschläge eng abgestimmt. Es ist ja nicht so, dass hier jemand allein auf der Welt ist und alles bestimmt.

Wen werden Sie vorschlagen, wenn Sie Regierender Bürgermeister bleiben?

Ich kann verstehen, dass das viele interessiert. Aber wir sollten erst mal die Wahlen gewinnen. Daran haben wir zu arbeiten. Je stärker die SPD wird, desto mehr Senatorenposten wird die SPD besetzen.

Es gibt den Vorwurf, Sie kümmerten sich zu wenig um Themen, bei denen kein Ruhm zu ernten ist: Bei der Rütli-Schule haben Sie sich nicht sehen lassen und mit Integrationsfragen wollen Sie sich nicht gerne beschäftigen.

Der Vorwurf ist falsch. Ich gehöre nur nicht zu den Politikern, die aufgrund eines Tagesereignisses vor die Kameras treten und gleich erzählen, was falsch war und wie es jetzt richtig zu machen ist. Integration ist ein permanenter Prozess. Fünf Jahre habe ich daran gearbeitet. Nicht mit flotten Sprüchen, sondern indem ich mir vor Ort das Quartiersmanagement angeschaut habe, in Schulen gegangen bin und mit den betroffenen Menschen gesprochen habe.

Die Integrationsprobleme in Berlin sind nicht kleiner, sondern größer geworden?

Ich glaube nicht, dass sie größer geworden sind. Viele Menschen sind erfolgreich integriert worden, weil sie es selber wollten und weil eine offene Gesellschaft es auch zugelassen hat. Trotzdem gibt es auch in der zweiten und dritten Generation noch riesige Probleme. So werden Migrantenkinder um ihre Chancen gebracht, weil sie nicht rechtzeitig Deutsch gelernt haben. Und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten finden eben diejenigen als erste keinen Job, die keine gute Schulausbildung oder keinen Schulabschluss haben. Zur Arbeitslosigkeit kommt dann teilweise auch ein Abrutschen in die Kriminalität. Deswegen ist eine bessere Bildung so wichtig. Wir müssen den Eltern deutlich machen, dass dies im Interesse der eigenen Kinder ist. Das ist ein mühsamer Prozess.

Wurde die Integrationswilligkeit in der Vergangenheit falsch eingeschätzt?

Integration ist ein differenziertes Thema, das ständig überprüft werden muss. Deswegen will ich keine Vorwürfe an die Integrationspolitik der Vergangenheit richten. Wir haben heute vielleicht andere Auffassungen, auch aufgrund von ökonomischen Zwängen. Da fallen die Probleme mehr auf als in wirtschaftlich guten Zeiten.

Sie wollen sich stärker in der Bundespolitik engagieren. Warum eigentlich?

Im Interesse der Berliner und Berlinerinnen. Es gibt genügend Themen, die nicht originär in die Zuständigkeit Berlins fallen, die aber über den Bundesrat direkte Auswirkungen auf die Stadt haben. Deswegen ist es richtig, dies deutlich zu machen. Ich habe mich auch bisher um bundespolitische Themen gekümmert, das ist nichts Neues. Ohne Berlin wäre die Föderalismusreform so nicht möglich gewesen. In der nächsten Legislaturperiode werde ich sicher die eine oder andere Kapazität mehr haben, um dies noch intensiver zu betreiben.

Welche bundespolitischen Themen liegen Ihnen denn da am Herzen?

Ich denke an die Gesundheitsreform und – weil es für Berlin eine besondere Bedeutung hat – an den Pflegebereich. Wie gehen wir mit alten Menschen in Deutschland um? Wie können Menschen, die Gott sei Dank viel älter werden als früher, in Würde altern und sterben? Das sind große Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Das passt gut zur Gesundheitsstadt Berlin. Es geht nicht nur um Krankenhäuser, sondern beginnt bei Ernährung, gesundem Leben und Fitness. Berlin hat gute Voraussetzungen, bei diesem Thema bundesweit eine Vorreiterrolle zu spielen.

Warum haben Sie in der nächsten Wahlperiode mehr Kapazitäten? Wird das Regieren einfacher, haben Sie mehr Zeit?

Das ist doch eine plumpe Unterstellung. Der Senat hat in den letzten fünf Jahren erhebliche Aufbauarbeiten zu leisten gehabt. In Zukunft ergeben sich sicherlich andere Möglichkeiten, als das bisher der Fall war, ohne dass mehr Zeit übrig bleibt. Ein Regierender Bürgermeister von Berlin hat nie Zeit, weil er immer gefordert wird.

Das sagt aber etwas aus über Ihre Prioritäten?

Nein, über meine Kapazitäten. Wenn ein Thema wegfällt, wie die Sanierung der Bankgesellschaft, werden dadurch natürlich Kapazitäten frei.

Und weil der Flughafen endlich gebaut wird?

Auch dies. Obwohl die Umsetzung sicherlich ebenfalls viel Arbeitszeit kostet.

Sie haben keine Angst, dass ihre Wähler sagen: Klaus Wowereit geht sowieso in zwei, drei Jahren aus Berlin weg?

Nein, die Wählerinnen und Wähler wissen, dass ich für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidiere. Ich bin nicht auf Jobsuche. Ich habe ein Amt, das mir viel Freude macht und das ich weiter ausüben möchte.

Es macht Sie auch nicht nervös, dass Kurt Beck von einigen SPD-Politikern schon zum Kanzlerkandidaten für 2009 ausgerufen wird?

Warum soll mich das nervös machen? Kurt Beck ist der Parteivorsitzende der SPD und natürlich derjenige, der originär das Verfahren für die Kandidatenauswahl bestimmt - und auch der Erste, der als Kandidat in Frage kommt.

Und wer käme als Zweiter in Frage?

Kurt Beck.

Es gehört nicht zu Ihrer Lebensplanung, 2009 als Kanzlerkandidat anzutreten?

Meine Lebensplanung ist es, Regierender Bürgermeister zu bleiben.

Das Gespräch führten Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

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