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Berlin: Merkel will Mielke nicht vergessen

Die CDU-Chefin besuchte die Stasi-Zentrale in Lichtenberg und versprach, die Gedenkstätte zu fördern

Irgendwie wusste man in der früheren DDR, dass man abgehört und bespitzelt wurde. Der Blick über die eigene Schulter und die Vorsicht beim Telefonieren waren Alltag, denn die Staatsmacht schien allgegenwärtig, und nichts nahm sie in ihrem unendlichen Drang, alles zu wissen und überall dabei zu sein, aus. Das klingt heute unwirklich. Aber wenn einem die Praktiken der Stasi im Haus 1 des ehemaligen DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Lichtenberger Ruschestraße so unmittelbar anhand von Bildern und Dokumenten präsentiert werden, dann kommen auch 15 Jahre danach Gefühle zwischen Grusel und Abscheu, ja auch kalte Wut auf. 20 000 hauptamtliche Stasi-Leute waren hier rund um die Uhr mit Überwachungs- und Repressionsaufgaben, Spionage und Terror im In- und Ausland beschäftigt, angetrieben durch den allgewaltigen Minister Erich Mielke, der sich im Wendeherbst 1989 zu der inzwischen zum geflügelten Wort avancierten Behauptung verstieg: „Ich liebe doch alle.“

Als gestern die CDU-Vorsitzende Angela Merkel die ehemalige Stasi-Zentrale besuchte, um mit Vertretern von Opferverbänden zu sprechen, war ihr die Beklemmung, die der Ort noch immer auslöst, durchaus anzumerken. Sie kam nicht zum ersten Mal. Schon als Bundesministerin hatte sie sich in Mielkes Haus 1 umgesehen, und so waren ihr die lachhaft anmutende Bürotechnik, derer sich der Stasi-Chef bediente, bereits ebenso bekannt wie die miefige Ästhetik des Ortes, die Devotionalien kommunistischer Herrschaft und all der andere Stasi-Kitsch in der Ausstellung, den ihr Gedenkstättenleiter Jörg Drieselmann als „Kultur am Arbeitsplatz der besonderen Art“ vorstellte. Neu war Merkel wohl die Raffinesse der vielen in den Vitrinen ausliegenden Observationsgeräte. Besonders beeindruckt zeigte sie sich von einer Art fotografierender Gießkanne. Mit ihr konnte man Blumen gießen und zugleich mit einer kleinen Kamera im doppelten Boden „Feindverhalten“ dokumentieren. „Man sieht wieder einmal, wie wach und präsent die Stasi war und welche Gefahr von ihr ausging“, sagte die CDU-Vorsitzende, der bei der Lektüre von Befehlen des Stasi-Chefs ein wenig fröstelte. „Ich empfinde es als große Erleichterung, dass diese Repression und Schnüffelei vorbei ist, aber sie darf nicht Vergangenheit sein. Wir müssen dafür sorgen, dass das Wissen um die Gefährlichkeit der SED-Diktatur und ihre menschenverachtenden Machenschaften nicht verblasst. Selbstverständlich werden wir einen authentischen Ort wie das Haus 1 und andere Hinterlassenschaften dieser Art erhalten und fördern, wenn es 2006 zum Regierungswechsel kommt“, versprach Merkel.

Die Mitarbeiter der Gedenkstätte hörten es mit Interesse. So gut bürgerschaftliches Engagement etwa für Mielkes ehemaligen Sitz Haus 1 mit jährlich 70 000 Besuchern ist, so wichtig ist auch die professionelle Betreuung des Erbes durch Museologen, Historiker und andere Fachleute. Gedenkstättenchef Drieselmann vernahm zwar von Angela Merkel keine definitiven Förderzusagen, zeigte sich aber beeindruckt „von ihrem tiefen Verständnis für unsere Probleme“. Wie ernst es der Unionschefin mit der Erinnerung an das Stasi-Erbe ist, kann die CDU schon Mitte Februar zeigen: bei der Anhörung im Kulturausschuss des Bundestages über den Umgang mit Gedenkstätten beider deutscher Diktaturen. Da Wissenschaft, Kultur und Denkmalpflege Ländersache sind, soll auch diskutiert werden, wer für die Gedenkstätten zuständig ist und wie man sie weiter ausstattet. Und es muss auch darüber gesprochen werden, wer für Unterhalt und Sanierung aufkommt. Mielkes Haus 1 ist 40 Jahre alt, irgendwann muss es repariert werden.

Helmut Caspar

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