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Berlin: Michael Beerman, geb. 1932

War Michael Beerman ein glücklicher Mensch? Wenn man seine Freunde von ihm erzählen hört, müsste die Antwort eigentlich Nein lauten.

War Michael Beerman ein glücklicher Mensch? Wenn man seine Freunde von ihm erzählen hört, müsste die Antwort eigentlich Nein lauten. Von Lebenskrisen bereits in der Jugend berichten sie. Einer Jugend, die sein ganzes Leben bestimmte, aber von der nur wenig bekannt ist. Am liebsten hätte er sie in eine dunkle Kiste gesperrt und sie ein Leben lang nicht herausgeholt. An ihrem Ende suchte er Trost in den Büchern von Rilke und Nietzsche, und dann gab er sich noch einen neuen Namen: Michael Beermann. Der andere ist nicht bekannt.

Ein Mann, den niemand anders kannte, als mit Bart und schütterem Haupthaar, langem Mantel, silberner Brille, hoher Stirn. So sah er aus, als er mit 30 Jahren anfing, Schauspielunterricht zu nehmen. Und so sah er als pensionierter Schauspieler aus. Den jugendlichen Liebhaber hat er nie gegeben. Die grantelnden Alten, die Säufer und Wunderlinge, waren von Anfang an seine Spezialität. Absurde Stücke wie die von Beckett, Ionesco und Bernhard zog er allen anderen vor.

Von einem grüblerischen Menschen erzählen Freunde. Von seinen Zweifeln daran, was das Leben von einem wolle. Von der Suche nach einer Bestimmung. Von nächtlichen Gesprächen über die Philosophie des Franzosen Emil Ciorans, von der es heißt, sie sei "durch und durch paradox, nihilistisch und skeptisch". Seine Freunde beschreiben Beerman als einen Menschen, den seine Vernunft einsam machte. Er ging davon aus, dass alle Menschen im Innersten allein und fremd in dieser Welt sind.

Beerman war auch zu klug, um ganz in dem eitlen Leben eines Schauspielers aufzugehen. Das ehrgeizige Bemühen seiner Kollegen um eine möglichst große Rolle fand er ziemlich penetrant. Wie zu allem hielt er auch zu seinem Beruf einen gewissen philosophischen Abstand. Das machte ihn unabhängig - und ließ ihn zuweilen ein wenig schrullig erscheinen. Wenn er ein Stück einmal all zu mäßig fand, konnte es vorkommen, dass er das vom Regisseur überreichte Textbuch kommentarlos wieder an der Theaterkasse abgab. Auch wenn es die Kasse der Schaubühne war, die ihm danach nie wieder ein Angebot machte.

Als alle Schauspieler sich um Engagements in Berlin rissen, verkündete er in der Künstleragentur: "Im Winter bitte keine Rollen in Berlin. Da ist die Luft hier so miserabel." So stand er viele Jahre lang in Provinzstädten auf der Bühne, in Schwäbisch-Hall, Braunschweig, Feuchtwangen, in der Schweiz. Provisorisch leben bedeutete das, von Saison zu Saison, aus dem Koffer heraus und lange Nächte mit immer neuen Kollegen in immer wieder anderen Theaterkantinen herumsitzen. Und viel allein sein.

Seine Zelte in Berlin hätte er aber nie abgebrochen. Hier war er zu Hause, in einer Altbauwohnung in Charlottenburg. Und hier zeigt sich dem Betrachter auch endlich ein helles Licht in dem bisher eher dunklen Gemälde des Lebens von Michael Beerman: Wenn er von seinen Engagements heimkehrte, erwarteten ihn seine Freunde und ein gelöstes Bohème-Leben.

Im Erdgeschoss seines Hauses befand sich die Verlagsauslieferung Ursula Sobottka, ein Kuriosum der Mauerzeit: Sie unterstützte die Westdeutschen Verlage bei der Lagerung und Lieferung der Bücher in West-Berlin - die Stadt war eine Insel, die Transitwege durch die DDR waren kompliziert. Sobottkas Laden war so etwas wie Beermans zweites Wohnzimmer und Ursula Sobottka mit ihren Kindern so etwas wie seine Wahlfamilie. Zwischen Tausenden von Büchern und Papieren fühlte sich der Büchernarr Beerman wohl.

Hier trafen sich nahezu täglich Schauspieler, Buchhändler, Verleger und Künstler zu Rotweingelagen, diskutierten Premieren, Vernissagen und Neuerscheinungen. Auch Susan Sonntag war mal dabei. Hatte Beerman mal kein Engagement, führte er für Ursula Sobottka als Freundschaftsdienst die Buchhaltung. Das machte ihm Freude: Klarheit, Eindeutigkeit, ein definiertes Ergebnis unterm Strich, das war für ihn ein wohltuender Kontrapunkt zu einem Leben, das sonst aus ambivalenten Deutungen und unendlichen Dialogen bestand.

Beerman galt als brillanter Regisseur menschlicher Begegnungen. Sobald er in der Stadt war, freute man sich auf die Feste in der Sächsischen Straße. Besonders gern auch in Beermans Wohnung, die er für diesen Zweck mit Lust an der dramatischen Inszenierung herrichtete. Den dunklen Raum mit den alten Möbeln und dem großen Tisch illuminierte er nur mit Kerzenleuchtern, seinen Besuch empfing er bereits an der Tür mit gefüllten Weinkelchen. Und er wusste stets sofort, mit wem dieser und jener unbedingt zusammengebracht werden musste. Ohne Zweifel fühlte sich Beerman in der Rolle des Gastgebers und Moderators besonders wohl, und er beherrschte diesen Part bravourös. Er war geistreich und aufmerksam, und amüsierte seine Gäste mit seinem an Beckett geschulten Sinn für absurden Humor.

So jemand wie Beerman ist kein Familienmensch. Er zog es sein Leben lang vor, allein zu wohnen. Liebe und Ehe begegnete er mit ironischer Skepsis, er pflegte lieber Freundschaften. Besonders zu jungen Menschen, die mit ihren Sorgen in ihm einen Mentor fanden. Wenn es nötig war, verschenkte er Geld und Zeit, so viel er gerade hatte. Seine Freunde sagen, er fühlte sich dabei nie ausgenutzt. Es war seine Art, das Leben zu genießen und glücklich zu sein, wenn er sich jemandem zuwenden und helfen konnte. Darin habe für ihn eine große erotische Spannung gelegen. Pädagogisches Eros nannte er das.

Und hier schloss sich auch der Kreis, der mit seiner verborgenen Jugend begann. Gerade weil er sein Leben lang mit sich gehadert hat, vermochte er es offenbar, vielen zu helfen, die sich auch völlig schief im Leben fühlten. Seine Freunde zählen ohne nachzudenken jede Menge Leute auf, die Beerman alles verdanken. Kein Zweifel, dass der ewig suchende Beerman als Pädagoge und Freund manchmal doch seine Bestimmung gefunden hat.

Kirsten Wenzel

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