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Berlin: Michaela Linke (Geb. 1953)

"Wisst ihr noch, die ganzen Absacker mit ihr?"

Eine Frau und drei Männer sitzen bei Bier und Wein in einer Charlottenburger Kneipe und unterhalten sich über ihre tote Freundin.

Jochen: Die Micha war ’ne ganz starke. Eine Geschäftsfrau. Aber mit Herz und Schnauze. Und groß war die. Ne großgewachsene Frau.

Gelia: Ach, Quatsch. So groß war Micha gar nicht. Einssiebzig vielleicht. Nur weil du so klein bist.

Jochen: Die wirkte halt groß.

Herbert: Wegen der Brüste. Die waren riesig.

Alle nicken.

Herbert: Die war Wirtin mit Leib und Seele. Was hatse nich’ alles gemacht. Geschäftsführerin bei Zöllner: Britzer Mühle, Hoppegarten, Pipapo. Dann das Lineca und später noch das Soffie.

Moritz: Micha war doch auch mal in der Werbung.

Herbert: Sieben Jahre in dieser Agentur. Da hat sie sich so gelangweilt, dass sie immer Computerspiele gezockt hat.

Moritz: Die konnte eh zocken. Weißte noch beim Billard?

Herbert lacht: Na klar, und wenn sie ausnahmsweise mal verloren hat, hatse gesagt: „Ich bin doch nur’n Mädchen.“

Gelia: Aber bei ihr in der Kneipe durfte man noch nicht mal Karten spielen.

Herbert: Auch kein Fernseher, kein Daddelautomat, nix. Das musste alles Klasse haben.

Gelia: Wenn ich bei der auf der Terrasse die Stühle und Tische angeordnet habe, wie sie das wollte, also schön ’ne Flucht gelassen und so, dann kam die immer noch mal vorbei und rückte jeden Stuhl um drei Millimeter. Da hättich schreien können.

Jochen: Die hatte halt ein ganz ausgeprägtes ästhetisches Bewusstsein.

Herbert: Das kannste laut sagen. Sei du mal 17 Jahre mit ’ner Frau zusammen, die dich morgens aus dem Bett verschlafen anguckt, wenn du zur Arbeit willst und sagt: Herbert, du bist dreifarbig angezogen. Ne Stunde vorher hatse dich geweckt, weilse angeschickert aus der Bar gekommen ist und noch ein bisschen streiten wollte.

Moritz: Wisst ihr noch, die ganzen Absacker mit ihr bei Mo? Kommste ja sonst nicht runter von der Schicht.

Gelia: Oder die Privatparties, wenn sie die Leiter vors Soffie gestellt hat und nur noch Freunde reingekommen sind.

Jochen: Ich weiß noch: Wenn ich ganz früh am Morgen ins Soffie gekommen bin, dann stand Micha hinterm Tresen, und davor saßen zwei, drei Gestalten, wie auf diesem Bild von Edward Hopper mit Humphrey Bogart und so. Die hatte eine Geduld. Hat allen zugehört. Da waren ja auch echte Flitzpiepen dabei. Wisst ihr noch: Pogopeter?

Gelia: Oh ja. Oder Shanti mit seinem Nachthemd.

Moritz: Die Micha wollte selbst mal zu Bhagwan. Kein Witz. Die hatte da Verständnis für.

Jochen: Hatte die eigentlich Geschwister?

Herbert: Die hatte ja nicht mal ‘n richtigen Vater.

Gelia: Und die Mutter war richtig schwierig.

Herbert: Die Micha wollte nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder mit ihrer Mutter Weihnachten feiern. So ’ne Art Versöhnung. Und dann brichtse sich das Bein und sagt, Herbert, schau du mal nach meiner Mutter. Und dann finde ich die tot in der Badewanne.

Gelia: Micha hat sich immer durchgebissen. Das war keine Heulsuse.

Jochen: Da sagste was. Ein zähes Luder! Brustkrebs, Lungenkrebs …

Herbert: Und Knochenkrebs.

Gelia: Und immer den Lebensmut behalten. Die hat mitten in der Chemo andere noch aufgebaut.

Herbert: Im Hospiz am Schluss, da meinte sie: „Herbert, wein doch nicht.“ Dann bin ich zum Weinen auf den Balkon gegangen.

Herbert beginnt zu weinen. Kurz wird es still am Tisch, dann sagt Moritz: Die war ein absoluter Eric-Clapton-Fan.

Herbert braust auf: Ach Clapton. Hendrix ist viel besser.

Moritz: Egal. Zweimal sind wir wegen Clapton nach London gefahren. Und dann die anderen Konzerte: Pogues auf der Waldbühne und nachher alle besoffen im Auto immer im Kreis um den Ernst-Reuter-Platz geeiert.

Herbert, wischt sich übers Gesicht und sagt lachend: Und dann ihr mit eurem Schultertrinken, die ganzen Schnäpse aufs Jackett, bis die Barfrau ausgeflippt ist.

Moritz: Wir wollten halt den Umsatz steigern. Hat die nicht verstanden.

Jochen: Die Micha hatte einen ganz feinen Humor.

Moritz: Max Goldt hat sie geliebt.

Herbert: „Die Radiotrinkerin“ war ihre Lieblingsgeschichte.

Gelia: Mal was anderes: Wer macht denn jetzt den Garten?

Herbert: Das krieg ich schon hin.

Gelia: Aber nie so gut wie Micha. Jetzt kannste ja deinen Alu-Würfel vom Trödel endlich ins Beet legen.

Herbert: Gehasst hat sie den! Was hat die für einen Stress gemacht. Das konnte eine Zicke sein. Den Würfel hab ich als Briefbeschwerer auf den Brief mit einem Teil ihrer Asche gelegt. So!

Gelia: Das ist gemein. Und was ist mit der restlichen Asche?

Herbert: Die streu’ ich in Griechenland aus. Sie hat doch geglaubt, dass sie im früheren Leben Griechin war.

Jochen: Im Ernst?

Herbert: Nee, hatse nur so gesagt, weil’s ihr da so gut gefiel. 14 Mal warse da. Die hat doch nicht an so Zeug geglaubt. Die hat sich doch auch ausdrücklich einen Pfaffen an ihrem Grab verbeten.

Gelia: Die hatte eben Stil. Die hätte nie Sekt getrunken. Nur eiskalten Champagner. Bei der gab’s auch keine Happy Hour. Die hat lieber stundenlang einen ausgegeben.

Jochen: So jemand trifft man nur ganz selten.

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