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Räumung ohne Gerichtsbeschluss: Berliner Familie mit vier Kindern auf die Straße gesetzt

Erst war es nur ein Wasserschaden, dann wurde daraus die Kündigung. Eine Räumung in Moabit fand statt, bevor ein Gericht deren Rechtmäßigkeit prüfen konnte.

Von Fatina Keilani

Eine Familie mit vier Kindern musste am Donnerstag raus aus ihrer Wohnung in Moabit – als Folge eines Wasserschadens. Um 11 Uhr klingelte laut Rechtsanwalt Cornelius Krakau der Gerichtsvollzieher in der Lübecker Straße bei Familie A., er bat die Eltern und ihre vier Kinder, ihre Wohnung zu verlassen. Diese weigerten sich zunächst. Der Gerichtsvollzieher holte die Polizei zur Verstärkung.

Erst kamen nur zwei Beamte, doch als sich die Familie auf Anraten ihres Anwaltes weiter weigerte, wurde eine Hundertschaft angefordert. „Niemand muss an seiner Räumung mitwirken“, begründete Anwalt Krakau seine Haltung. Bevor die Hundertschaft eintraf, überlegte es sich die Familie und verließ die Wohnung doch freiwillig – man wollte den Kindern die Erfahrung ersparen, von Polizisten herausgetragen zu werden.

Soweit die Darstellung des Anwalts. Die Vorgeschichte des Falls ist ungewöhnlich und teilweise eine Verkettung ungünstiger Umstände.

Die aus Pakistan stammende Familie wohnt schon seit fast zehn Jahren in der Wohnung, sie lebt von Hartz IV. Die vier Kinder sind acht, zwölf, 14 und 16 Jahre alt; die beiden älteren besuchen ein Gymnasium. Die Familie gilt als integriert. Im Oktober 2018 gab es einen Wasserschaden in der Wohnung.

Die Familie wischte das Wasser schnell auf und hielt das für ausreichend. Der Vermieter sei jedoch der Meinung gewesen, der gesamte Fußboden müsse zur Vermeidung von Schimmel erneuert werden, und forderte die Familie zum Verlassen der Wohnung auf, um Instandsetzungsarbeiten zu ermöglichen, sagt der Anwalt. Die Familie weigerte sich, weil sie keine Ersatzwohnung hatte und keine Notwendigkeit sah.

Die Räumung wurde noch vor dem Gerichtstermin vollstreckt

Der Vermieter kündigte und erhob Räumungsklage. Da die Familie darauf nicht reagierte, erging gegen sie ein Versäumnisurteil. Nach Darstellung des Anwalts ist die Klage der Familie aber gar nicht zugegangen. Das Ergebnis: Das Urteil war vorläufig vollstreckbar, obwohl der eigentliche Gerichtstermin über die Rechtmäßigkeit der Kündigung noch aussteht. Ein Antrag auf Vollstreckungsschutz wurde ablehnt – das Gericht konnte keinen Härtefall erkennen.

Vor Gericht wird die Sache im Mai verhandelt. „Wir gehen davon aus, dass die Kündigung keinen Bestand haben wird“, sagte Wibke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, dem Tagesspiegel. Ihr ist der Fall bekannt, denn die Familie ist Mitglied im Mieterverein. „Um kündigen zu können, müsste eine erhebliche Pflichtverletzung der Familie vorgelegen haben, die hier jedoch nicht erkennbar ist“, so Werner.

Die Familie hätte die Vollstreckung durch Zahlung von 17 000 Euro abwenden können; so viel Geld habe sie nicht. „Soweit ich weiß, hat der Anwalt wegen der drohenden Räumung versucht, den Gerichtstermin vorverlegen zu lassen“, sagt Werner. Das sei wegen Überlastung des Gerichts aber nicht möglich gewesen – ein weiterer unglücklicher Umstand. „Es ist bedauerlich, dass die Gerichte nicht in der Lage sind, in einem so zugespitzten Fall wie diesem flexibler zu reagieren.“

Zur Räumung erschien nach Darstellung von Anwalt Krakau auch der Vermieter, der seinen geräumten Mietern umgehend Hausverbot erteilte. Mit dem Tagesspiegel wollte er nicht sprechen. Sein Rechtsanwalt sagte, sein Mandant werde sich nicht äußern. Ein Sprecher einer großen Versicherung teilte auf Anfrage mit: „Das ist ein ungewöhnliches Vorgehen. In so einem Fall gehen die Bewohner üblicherweise ins Hotel, bis der Schaden behoben ist, und das bezahlt die Gebäudeversicherung.“ Nun ist es Aufgabe des Bezirks, die Familie erstmal unterzubringen, wenn diese nicht bei Freunden unterkommt. Ob dies am Donnerstag gelang, war nicht in Erfahrung zu bringen.

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