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Berlin: Milde für V-Mann, Schelte für Geheimdienst

Handel mit Neonazi-CDs: Landgericht verurteilt Spitzel zu Bewährungsstrafe – Verfassungsschutz „mitschuldig“

Von Frank Jansen

Das Berliner Landgericht hat den früheren V-Mann Toni S. (27) wegen Volksverhetzung und weiterer Taten zu zwei Jahren Haft verurteilt. Der Neonazi kommt jedoch mit einer vierjährigen Bewährungsfrist frei, da nach Ansicht der 2. Großen Strafkammer der Brandenburger Verfassungsschutz die Aktivitäten des Spitzels „gedeckt und geschützt hat“. Somit relativiere sich die Schuld von Toni S. „in ganz erheblichem Umfang“. Der Vorsitzende Richter, Hans-Jürgen Brüning, regte indirekt einen Untersuchungsausschuss in Brandenburg an – ein Novum in der Justizgeschichte.

Der V-Mann hatte unter anderem 2800 Exemplare einer CD vertrieben, auf der Prominenten der Tod angedroht wird. Die Berliner Polizei nahm Toni S. im Juli fest, seitdem gibt es mit Brandenburg heftigen Streit. „Der Verfassungsschutz war nicht berechtigt, Straftaten zu erlauben“, betonte Richter Brüning. Toni S. habe die Behörde über die CD „Noten des Hasses“ informiert, auf der zum Mord an Michel Friedman, Rita Süssmuth und weiteren Personen aufgerufen wird. Der Verfassungsschutz hätte Auslieferung und Aktivitäten des V-Manns beenden müssen, sagte Brüning. Außerdem habe Toni S. nach einem Hinweis seines V-Mann-Führers ein geheimes Lager in Cottbus angelegt. Dort bewahrte er CDs, NS-Poster und Sweatshirts mit Hakenkreuzen auf. Die Berliner Polizei hatte im Juli den „Bunker“ entdeckt. Der Verfassungsschutz bestreitet, von dem Lager gewusst zu haben.

Mit ihrem Urteil folgte die Strafkammer dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Diese hatte gefordert, Toni S. zu bestrafen wegen Volksverhetzung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Gewaltdarstellung, Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und Verletzung des Gesetzes über jugendgefährdende Schriften. Verteidiger Klaus Linten nannte in seinem Plädoyer die „Elaborate“ seines Mandanten „ekelerregend“ und sprach sich auch für eine Bewährungsstrafe aus. Im Namen von Toni S. akzeptierte Linten, wie die Staatsanwaltschaft, das Urteil, das damit rechtskräftig ist.

Das Brandenburger Innenministerium begrüßte den Richterspruch. Toni S. habe Weisungen seines V-Mann-Führers missachtet und sich „durch eigenmächtige Aktionen strafbar gemacht“, sagte Sprecher Heiko Homburg. Er beklagte, dass kein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes vernommen worden ist. Auch die schriftliche Aussage des V-Mann-Führers mit dem Decknamen „Dirk Bartok“, die dessen Anwalt der Staatsanwaltschaft zuleitete, sei in der Anklage nicht berücksichtigt worden. „Bartok“ hatte bestritten, S. zu Straftaten animiert zu haben. Etwas überraschend sagte auch S. in seinem Schlusswort, es wäre dem Verfassungsschutz nicht möglich gewesen, den Vertrieb der CD zu verhindern. Danach vermutete Verteidiger Linten, Potsdamer Behörden hätten auf S. Druck ausgeübt. Kurz vor dem Prozess hatten Beamte aus dem Nachbarland Toni S. in der Untersuchungshaft besucht. Der Ex-Spitzel ist auf Brandenburgs Polizei angewiesen, die ihn nach der Freilassung vor möglichen Racheakten der rechten Szene schützen wird.

Die Schluss-Bemerkung von Richter Brüning, nur ein Untersuchungsausschuss in Brandenburg könne die Rolle des Verfassungsschutzes abschließend würdigen, rief in Potsdam Empörung hervor. „Das ist absurd“, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Christoph Schulze, Vorsitzender der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die PDS-Abgeordnete Kerstin Kaiser-Nicht, auch Mitglied der Kontrollkommission, warf hingegen SPD und CDU vor, sie wollten den „V-Mann-Skandal“ nicht aufklären.

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