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Bis vor einem Jahr war Doris Unzeitig Leiterin der Spreewald-Grundschule.

© Mike Wolff

„Mini-Machos, Kultur-Clash, Gewalt“: Eine Ex-Schulleiterin geißelt das Berliner Ämterversagen

Die einstige Leiterin der Spreewaldschule rechnet in einem Buch mit den Bildungsbehörden ab. Doch dabei überschätzt sie sich stellenweise selbst.

Der Wachschutz ist noch da, die Schulleiterin, die ihn holte, aber nicht mehr: Doris Unzeitig, zwischenzeitlich Berlins wohl bekannteste Schulleiterin, hatte Deutschland im Sommer 2018 verlassen und war in ihre österreichische Heimat zurückgekehrt. Nun meldet sie sich schriftlich zurück – mit einem Buch, das an diesem Donnerstag erscheinen soll.

„Eine Lehrerin sieht rot. Mini-Machos, Kultur-Clash, Gewalt in der Schule und das Versagen der Politik“, lautet der reißerische Titel. Nicht weniger martialisch geht es auf der Homepage des Verlages zu: Er verspricht einen „schonungslosen Blick in einen Schulalltag, in dem Polizeieinsätze, blutüberströmte Kinder und verängstigte Lehrkräfte normal sind“. Eigentlich schade, denn das Buch bietet mehr als Horrorszenarien.

Zunächst einmal: Unzeitig nimmt den Leser mit in ihre berufliche Vergangenheit, die sich an einer Zwergschule am Attersee abspielte. Sie sei 2009 aus „der Bergidylle in die Niederungen der Großstadt“ oder auch „in den Dschungel“ gekommen, wie es an einer Stelle heißt.

Fest steht: Sie war neugierig auf Berlin und so tatendurstig, dass sie sich nach einem Masterstudium und zwei weiteren Berufsjahren nicht nur die Leitung einer Brennpunktschule zutraute, sondern sogar eine auswählte, die heruntergewirtschaftet war. So landete sie 2013 an der Schöneberger Spreewald-Schule. Was sie dort erlebte, beschreibt sie ausgiebig.

Manches davon ist bekannt, denn die Pädagogin oder Vertreter ihrer Schulgremien schalteten oft die Öffentlichkeit ein, wenn sie sich vom Schulamt Tempelhof-Schöneberg im Stich gelassen fühlten – etwa mit einer Dauerbaustelle, die ihnen den Hort mitsamt Mensa raubte. So richtig rund ging es aber erst, nachdem die Schulkonferenz beschlossen hatte, einen Wachschutz zu engagieren: Da wurden Bezirks- und Senatsbehörden ärgerlich.

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Zu den Hauptvorwürfen, die Unzeitig von der Senatsverwaltung für Bildung gemacht wurden, gehörte stets, dass sie die Probleme und die Gewalt, die an ihrer Schule herrschten, publik gemacht hatte. Was dabei immer gern ausgeblendet wurde, war die Tatsache, dass Unzeitig die unangenehmen Tatsachen erst aussprach, wenn sie zuvor monatelang von den Behörden nicht die Hilfe bekam, die sie sich wünschte, nachdem Väter und Schulfremde handgreiflich oder anderweitig zum Risiko für Kinder und Lehrer geworden waren, wie Unzeitig beschreibt.

Wachschutz – in Neukölln selbstverständlich

Zudem hatte es ja der Bezirk Neukölln – und in einem Fall auch Spandau ("kostete am Ende 61.758 Euro") – vorgemacht, dass Wachschutz ein Mittel der Wahl sein kann, um Schulen im schwierigen Umfeld zu helfen. Es verging dann aber ein halbes Jahr und es bedurfte weiterer Gewalt- und Vandalismusvorfälle, bis der Bezirk den Wachschutz erlaubte, der kritisierten Schulleiterin somit indirekt Recht gab und noch immer Recht gibt, da der Wachschutz ja auch unter der neuen Schulleiterin noch im Einsatz ist.

Das unübersichtliche Gelände war jahrelang kaum geschützt - bis die Rektorin 2018 den Wachschutz holte.
Das unübersichtliche Gelände war jahrelang kaum geschützt - bis die Rektorin 2018 den Wachschutz holte.

© Susanne Vieth-Entus

Dass Doris Unzeitig besser zurecht gekommen wäre, wenn sie nicht an einer Schöneberger Schule, sondern etwa in Neukölln eingesetzt worden wäre, lässt sich vermuten. Dafür spricht ihr Eintreten für schärfere Sanktionen gegen Schwänzer, säumige Eltern oder bei Gewaltandrohungen: Damit hätte die Österreicherin gut nach Neukölln gepasst.

„Pflichtlektüre für die Ämter“

„Beim Lesen entsteht durchaus Sympathie für Frau Unzeitig, denn die Fülle der Probleme imponiert“, resümiert eine ehemalige Schulleiterin, die die Zustände im Bezirk gut kennt. „Und wenn man dann keine Hilfe bekommt wie in Tempelhof-Schöneberg durch das Schulamt und die Schulaufsicht und auch durch die Senatsverwaltung, hat man nur wenige Chancen.“ Ob sie die Lektüre des Buches empfehlen würde? „Vielleicht sollte man es zur Pflichtlektüre für die Schulträger und für die Senatsverwaltung und für die Schulaufsicht machen.“

Das Buch von Doris Unzeitig erscheint am 26. September.
Das Buch von Doris Unzeitig erscheint am 26. September.

© Promo

Man merkt dem Buch Unzeitigs Begeisterung für den Lehrerberuf an. Aber für den Rektorenposten an einer solchen Schule braucht man eben mehr – zumindest mehr Leitungserfahrung und eine bessere Vernetzung. Beides hatte sie nicht vorzuweisen, stattdessen eine gehörige Portion Selbstüberschätzung. Auf Letzteres wird der Leser schon im Vorwort gestoßen, wenn die 49-Jährige die Entlassung des Bildungsstaatssekretärs und die Einführung des kostenlosen Schulessens in Verbindung mit ihrer Person setzt.

Schade eigentlich, dass sie sich da um Glaubwürdigkeit bringt, die sie für ihre Beschreibung der Zustände in Brennpunktkiezen und in Schulbehörden durchaus verdient hätte.

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