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Die Hedwigskathedrale in Mitte ist die Bischofskirche des Erzbistums Berlin. Aus diesem traten vor zwei Jahren 10.068 Menschen aus.

© Maurizio Gamb/dpa

Missbrauchsfälle im Erzbistum Berlin: Aufarbeitung gerät durch Rücktritt von designiertem Kommissionsmitglied ins Stocken

Eine Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Berlin ist noch nicht einmal konstituiert, da tritt das erste Mitglied schon zurück.

Durch den Rücktritt eines designierten Kommissionsmitglieds ist die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Berlin ins Stocken geraten. Ende Januar stellte das Erzbistum ein Gutachten der Kanzlei Redeker Sellner Dahs zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum seit 1946 vor. Parallel verkündete Erzbischof Heiner Koch die Einsetzung einer sechsköpfigen Kommission, die nun bistumsintern das Gutachten auswerten und die Missbrauchsgeschichte aufarbeiten soll. Bislang konnte sie sich allerdings noch nicht einmal konstituieren.

Von diesem Gutachten sind allerdings bislang 400 von 600 Seiten von der Veröffentlichung ausgenommen. Erzbischof Koch begründet dies mit Persönlichkeitsschutz sowie „der Gefahr der Retraumatisierung der Betroffenen und um eine voyeuristische Darstellung zu vermeiden“.

Auf Nachfrage des Tagesspiegel-Newsletters Checkpoint sicherte das Erzbistum zu, dass „über die im veröffentlichten Teil hinaus bereits benannten Verantwortlichen“ auch „die Namen aller Verantwortlichen genannt werden, die ihre Dienstpflicht verletzt haben“. Die betreffenden Abschnitte des Gutachtens würden ebenfalls „als Begründung für die Entscheidung des Erzbischofs veröffentlicht“.

Was allerdings wie und wann öffentlich wird, soll nun eine kircheninterne Gutachten-Kommission klären. Telefonisch teilte Stefan Förner, Pressesprecher des Erzbistums, mit, dass er nicht zusagen könne, die Namen noch vor der Sommerpause zu veröffentlichen.

Zwar sei allen Kommissionsmitgliedern die Dringlichkeit bewusst. Jedoch scheitert die Konstituierung der Kommission an einer Personalie: Denn auch die sechs vorgesehenen Mitglieder erhielten erst bei ihrem ersten Treffen am 29. Januar den unveröffentlichten Teil des Gutachtens. Anscheinend in der Annahme, nicht selbst darin Erwähnung zu finden, denn das ist die formale Voraussetzung für die Mitgliedschaft.

Domvikar Goy erklärte seinen Rücktritt aus der Kommission

Umgehend wurde allerdings deutlich, dass nicht alle von ihnen diese Voraussetzung erfüllten: Domvikar Matthias Goy, Priester und im Erzbistum zuständig für Aus- und Fortbildung, wird im nicht-veröffentlichten Teil des Gutachtens genannt, wenn auch „nur am Rand“, wie das Erzbistum wissen lässt.

Domvikar Matthias Goy sollte in der Kommission des Erzbistums Berlin die Veröffentlichung eines Missbrauchsgutachtens prüfen. Nun zieht er sich zurück. (Archivbild)
Domvikar Matthias Goy sollte in der Kommission des Erzbistums Berlin die Veröffentlichung eines Missbrauchsgutachtens prüfen. Nun zieht er sich zurück. (Archivbild)

© promo

Telefonisch konkretisiert Pressesprecher Förner: Goy sei als einer von mehreren Teilnehmern bei einem Gespräch mit einem Betroffenen dabei gewesen. Damit steht im Raum, dass er befangen sein könnte. Weshalb Goy sich nicht schon vor der Berufung in die Kommission und von sich aus an seine Beteiligung am Gespräch erinnert hatte, bleibt unklar.

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In der Sitzung am 29. Januar erklärte Goy jedenfalls umgehend seinen Rücktritt, auch nachdem auch Laienvertreter:innen im Gremium die Besorgnis geäußert hatten, dass er nun wohl nicht unvoreingenommen an der Kommissionsarbeit mitwirken könne, und ihn um eine Stellungnahme gebeten hatten. Durch seinen Rücktritt wolle er dazu beitragen, dass „der Kommission durch seine Mitarbeit keine von Außenstehenden und der Öffentlichkeit befürchtete Beeinflussung vorgeworfen werden kann“, wird Goy in der Presseerklärung des Erzbistums zitiert.

Für die Opfer? Erzbischof Heiner Koch begründet die Nicht-Veröffentlichung von Teilen des Gutachtens zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum mit Persönlichkeitsschutz.
Für die Opfer? Erzbischof Heiner Koch begründet die Nicht-Veröffentlichung von Teilen des Gutachtens zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum mit Persönlichkeitsschutz.

© picture alliance/dpa

Der Priesterrat, der Goy in die Kommission entsandt hatte, will nun am Donnerstag nächster Woche einen Nachfolger benennen. Erst dann kann sich die Kommission konstituieren und ihre Arbeit aufnehmen – und klären, wo das Bistum die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bewusst oder unbewusst verschleppt hat.

Kanzlei attestiert dem Erzbistum zahlreiche Versäumnisse

Bei der Vorstellung der bereits öffentlichen Teile des Gutachtens Ende Januar wurde jedenfalls deutlich: Die Kanzlei Redeker Sellner Dahs mit ihren Rechtsanwälten Peter-Andreas Brand und Sabine Wildfeuer attestiert dem Erzbistum im bisherigen Vorgehen zahlreiche Versäumnisse.

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„Aus der Untersuchung der Personalakten ergibt sich eine Vielzahl von Missständen, die bereits für sich genommen, insbesondere aber in der Kumulation geeignet sind, die Verhinderung von sexuellem Missbrauch durch Kleriker zu erschweren, die Aufklärung zu verhindern und notwendige Schlüsse für Intervention und Prävention unmöglich zu machen“, heißt es im Gutachten.

Karlies Abmeier, Vorsitzende des Diözesanrats im Erzbistum Berlin erklärte, sie fände es schade, dass die Kommission nicht sofort tagen konnte und durch den Rücktritt nun erst verzögert ihre Arbeit aufnehmen könne. Über Goy sagt sie: „Ich hoffe, dass es keine Absicht war, dass er seine mögliche Befangenheit nicht angesprochen hat, – dass das ihm in dem Moment einfach nicht bewusst war.“

Parallel zum Bekanntwerden des Rücktritts von Goy gab das Erzbistum eine neue Initiative bekannt: Gemeinsam mit den Bistümern Dresden-Meißen und Görlitz sowie der Katholischen Militärseelsorge bittet es Betroffene um Mitarbeit in einem gemeinsamen Betroffenenbeirat. Ob das weitere Gläubige vom Kirchenaustritt abhält, bleibt abzuwarten. Schon 2019 kehrten 10.068 Menschen dem Erzbistum den Rücken, davon 8712 in Berlin. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.

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