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Gut behütet? Eingang zur Kita Gleimstrolche in Prenzlauer Berg.

© Sandra Dassler

Misshandlungsvorwürfe in Berlin-Prenzlauer Berg: Schwiegen die Kita-Kollegen aus Angst?

In der Kita "Gleimstrolche" soll eine Erzieherin Kleinkinder misshandelt haben. Eltern plädieren trotzdem für einen Weiterbetrieb.

Von Sandra Dassler

Wenn – wie das Sprichwort sagt – Kindermund Wahrheit kundtut, dann ist zumindest das Haus 2 der Kita Gleimstrolche in Prenzlauer Berg ganz toll. Meinte jedenfalls dieser Tage die sechsjährige Lina (Name geändert). Als sie von ihrem Vater aus der Kita abgeholt wurde, fragten ihn Journalisten, was er zu den Misshandlungsvorwürfen gegen eine Erzieherin im Haus 1 halte. Während der Vater nur mit den Schultern zucken konnte: „Ehrlich gesagt, habe ich davon noch gar nichts gehört“, wusste seine Tochter sofort Bescheid. „Ja, das hat meine Freundin erzählt“, sagte sie ganz ernst: „Die sollen Kinder zum Schlafen und Essen gezwungen haben. Aber im Haus 1, nicht bei uns. Bei uns sind nämlich alle Erzieherinnen ganz doll lieb.“

Die Erzieherinnen werden solche Worte mit Freude hören. „Viele von ihnen sehen sich durch die Vorwürfe unter einen Generalverdacht gestellt, der ungerecht ist“, sagt Tobias Kuske. „Besonders für jene, die sich immer gut um die Kinder gekümmert haben“. Tobias Kuske ist Pfarrer und Elternvertreter an der Kita Gleimstrolche, die mehrere seiner Kinder besuchten. „Ich war oft im Haus, auch in den Schlafsälen, mir ist nie etwas aufgefallen“, sagt er.

Chefin der Aufsichtsbehörde spricht von krassem Einzelfall

Das betonen viele Eltern. Erzählen, dass ihre Kinder ihre Erzieherinnen lieben und sogar im Urlaub nach ihnen fragen. Andere berichten hingegen von „unguter Stimmung“, vor allem im Haus 1, von Spannungen zwischen den einst befreundeten Leiterinnen, wobei die Chefin von Haus 2 jetzt auch die Leitung von Haus 1 übernommen hat. Und viele Mütter und Väter, nicht nur in Pankow, fragen sich derzeit, ob ihre Tochter oder ihr Sohn in den Einrichtungen sicher ist.

„Die Berliner Eltern können ihre Kinder auch weiterhin mit gutem Gewissen in die Kitas bringen“, sagt Britta Schröter. Sie leitet seit vier Jahren die Kita-Aufsicht in der Hauptstadt und kann sich nicht an ähnlich schlimme Vorwürfe erinnern – sowohl, was die Intensität als auch die Dauer der Handlungen anbelangt. „Wenn sich die Berichte darüber, was in der Kita Gleimstrolche geschah, bestätigen – dann haben wir es hier wirklich mit einem extremen und krassen Einzelfall zu tun“, sagt sie. „Sowohl Zwangsfüttern als auch Fixieren der Kinder sind Verhaltensweisen, die absolut nicht toleriert werden können. Das hat auch in keiner Form mit Überforderung zu tun.“

Kinder wurden gefesselt und zum Essen gezwungen

Die Polizei ermittelt nach mehreren Anzeigen von Eltern und vom Kita-Träger wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen gegen die Beschuldigte. Man prüfe auch, ob die Ermittlungen auf weitere Erzieherinnen ausgedehnt werden, sagte ein Polizeisprecher. Er wollte nicht bestätigen, dass die Beschuldigte die Taten abstreitet, sagte aber, dass sie selbst Anzeige wegen Verleumdung erstattet habe. Zu Details der ihr vorgeworfenen Handlungen wollte er sich nicht äußern.

„Die Kinder, sie waren zehn, elf Monate alt, sollen mit Laken an den Matratzen fixiert, also in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden sein“, sagt Britta Schröter. „Sie konnten nicht allein aufstehen – das ist absolutes Fehlverhalten. Und Kinder dürfen nicht zum Essen gezwungen werden. Wenn sie eine Abwehrhaltung einnehmen, muss man das akzeptieren und gegebenenfalls den Eltern mitteilen, dass ihr Kind nichts isst.“

Warum andere Kollegen nichts bemerkten oder unternahmen, sei ein Hauptpunkt der Aufklärung, die der Träger jetzt leisten müsse, sagt die Chefin der Kita-Aufsicht. „Die Leitung von Haus 1 spielt dabei tatsächlich eine große Rolle. Es gibt Aussagen, dass sich Kollegen nicht an den Träger oder die Kita-Aufsicht gewandt hatten, weil sie Angst hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.“

Mehr Personal nur für die Kita-Aufsicht

Aber kann so eine Drohung das Gewissen ausschalten – zumal es in Berlin einen riesigen Mangel an qualifizierten Erziehern gibt? Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft spricht von mehreren hundert nicht besetzten Stellen und die Senatsverwaltung für Bildung geht davon aus, dass in den kommenden Jahren 4800 neue Vollzeitstellen besetzt werden müssen. Auch deshalb hat der Senat, wie berichtet, die sogenannte Quereinsteiger-Regelung geändert: Jetzt können 33 statt bislang 25 Prozent der Kita-Stellen durch Nicht-Pädagogen besetzt werden.

Aufgestockt wurde auch die Kita-Aufsicht, wo derzeit 15 Berater auf 14 Vollzeitstellen arbeiten, 2014 waren es nur zehn. „Wir haben noch weiteres zusätzliches Personal beantragt, aber wir können auch jetzt schon allen Beschwerden nachgehen“, sagt Leiterin Britta Schröter. „Da fällt nichts unter den Tisch!“

Kitaplätze bleiben Luxusgut

Die meisten Beschwerden kommen von den Eltern und beziehen sich auf die Personalsituation oder auf die Verletzung der Aufsichtspflicht. Aber die Eltern meckern nicht nur, sondern helfen auch – wie jetzt bei den Gleimstrolchen – mit, den Betrieb in Berlins 2470 Kitas weiter aufrechtzuerhalten. Aus blanker Not: „Trotz des massiven Platzausbaus ist die Situation sehr angespannt“, sagt Iris Brennberger von der Bildungsverwaltung. Zwar seien derzeit mehr als 1800 von insgesamt 166 549 Plätzen nicht belegt, aber diese seien oft nicht dort, wo die Eltern es wünschen. Und so sind die Wartelisten lang – auch für die Kita Gleimstrolche: Für die beiden Kinder, die nach Bekanntwerden der Vorwürfe abgemeldet wurden, haben sich sofort Nachrücker gefunden.

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