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Berlin: Missionieren auf Schritt und Tritt

Bezirksamt kannte Pläne für Zentrale seit Wochen. Scientology macht intensive Nachbarschaftsarbeit

Während Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erst aus der Zeitung von der neuen Scientology-Repräsentanz in Charlottenburg erfuhr, wusste das Bezirksamt laut Bürgermeisterin Monika Thiemen (SPD) schon seit „Ende November oder Anfang Dezember“ Bescheid. Zu diesem Zeitpunkt sei der Schriftzug „Scientology“ an der Hausfront in der Otto-Suhr-Allee beantragt worden. Da die umstrittene Vereinigung nicht verboten sei, „musste das genehmigt werden“, sagte die Rathauschefin gestern. Außerdem habe ein Sektenvertreter einen Antrittsbesuch bei ihr machen wollen. „Ich habe aber keinen Gesprächsbedarf gesehen.“

Über die genauen Umstände der Ansiedlung soll in der nächsten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 18. Januar diskutiert werden. Laut Thiemen will vor allem der SPD-Wirtschaftsstadtrat Marc Schulte genau überwachen lassen, ob Scientology „alle Bestimmungen einhält“ – zum Beispiel bei der antragspflichtigen Verbreitung von Informationsmaterial im öffentlichen Raum. Und das dürfte viel Arbeit bedeuten, denn Scientology ist rund um den Ernst-Reuter-Platz seit Wochen sehr aktiv.

So wurde die Direktorin des nahe gelegenen Theaters Tribüne, Corinna Trempnau, mehrfach von Scientologen besucht. Schon Anfang Dezember hätten sich Mitarbeiter der Sekte als „die neuen Nachbarn“ vorgestellt. Ein junges Pärchen habe sie kürzlich zur Eröffnung des neuen Scientology-Zentrums am kommenden Sonnabend eingeladen. „Man wird die nur schwer wieder los“, sagte Trempnau. Auch in dieser Woche gab es Besuch von einer jungen Frau, die Trempnau und ihre Kollegen auf die regelmäßigen Veranstaltungen im Haus nebenan hingewiesen habe. „Sie wollte nicht wieder gehen, bis ich mit der Polizei gedroht habe“, sagte die Theaterchefin. Die Sektenvertreter träten dabei rhetorisch gut geschult und höflich auf. Das Theater hat Scientologen nun Hausverbot erteilt – ein Schild hängt für jeden sichtbar am Eingang. „Wir verschicken das aber noch mal per Einschreiben an Scientology selbst“, sagte Trempnau.

Besorgniserregend finden die Theatermacher, dass sich in der Nähe der Sektenzentrale zwei Schulen befinden. Die Schüler des Gymnasiums in der Schillerstraße geben sich angesichts der neuen Nachbarn jedoch gelassen. „Hier ist keiner so dumm, auf die reinzufallen“, glaubt Abiturient Andreas. Zumindest in den oberen Klassen sei ausgiebig über Sekten diskutiert worden. Beunruhigt sind hingegen Eltern von Kindern aus der Grundschule in der Cauerstraße. „Wenn es nach mir ginge, wäre Scientology verboten“, schimpft die Mutter eines 12-jährigen Jungen. In der Otto-Suhr-Allee hätten „selbstbewusste“ junge Menschen vermehrt Passanten angesprochen.

Auch die Mitarbeiter der Kaufhalle unmittelbar neben dem Scientology-Sitz sind schon vor mehreren Wochen von Vertretern der selbsternannten Kirche besucht worden. „Die fragten, ob ich Kinder habe“, erzählt eine Kassiererin. Danach folgte eine Einladung: Wer stressfrei leben wolle, sei mit seiner ganzen Familie jederzeit im Scientology-Haus willkommen. Anwohner sammeln nun Unterschriften gegen die neue Repräsentanz.

Nach eigenen Angaben erwartet Scientology dort zur Eröffnung am Wochenende bis zu 10 000 Gäste. Ob tatsächlich so viele Anhänger den Weg nach Charlottenburg finden, bleibt fraglich. Experten gehen von nur knapp 200 Berliner Anhängern aus, nach Auskunft umliegender Hotels hat es jedoch für das Wochenende keine vermehrten Buchungen für Übernachtungen gegeben. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat seine Einladung unterdessen ausgeschlagen.

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