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Schieflage. Die Kräfteverhältnisse gerieten beim Bau des Spreedreiecks aus den Fugen. Weil der Schaden aus einem fehlerhaften Kaufvertrag nicht frühzeitig berechnet wurde, setzte der Investor immer wieder neue, zusätzliche Forderungen gegen das Land durch.

© Doris Spiekermann-Klaas

Missmanagement: Untersuchungsausschuss Spreedreieck tagt zum letzten Mal

Eineinhalb Jahre ist es her, dass sich der Untersuchungsausschuss Spreedreieck konstituierte. Er sollte klären, wie hoch der Schaden für den Steuerzahler ist und wer ihn verschuldet hat. Am Freitag tagt der Ausschuss zum letzten Mal. Zeit für eine Bilanz.

Hier also stecken sie, je nach Berechnung vier bis zwanzig Millionen Euro aus der Landeskasse, Steuergeld, das durch Fehler der Verwaltung und kühles Kalkül des Investors privatisiert wurde: Es steckt in einem braun verkleideten Neubau an der Friedrichstraße, der sein gewaltiges Volumen verschämt hinter geschwungenen Fassaden verbirgt, so dass dem Koloss vom Norden der Friedrichstraße aus betrachtet nicht einmal eine gewisse Eleganz abzusprechen ist.

Über dieses Gebäude streiten sie am Freitag ein letztes Mal, die Abgeordneten im „parlamentarischen Untersuchungsausschuss Spreedreieck“. Wegen der unterschiedlichen Schuldzuweisungen werden wohl zwei Abschlussberichte vorgelegt. Im Frühherbst vermutlich. Dann werden zwei Jahre vergangen sein seit sich das Gremium konstituierte. Zuletzt stritten sie um etwaige Interessenkonflikte des Vorsitzenden Andreas Köhler (SPD). Der Rechtsanwalt hatte zwei Schlüsselfiguren der Affäre in einer anderen Sache vertreten. In Berlin hängt alles mit allem zusammen.

Im Spreedreieck sind längst die Mieter eingezogen, wie beispielsweise die Wirtschaftsprüfer von Ernst&Young. Den Aufzug ruft der Besucher, indem er die Nummer der Etage auf dem Bildschirm drückt: „Für Sie fährt Aufzug B“ erscheint als Antwort. Sekunden später öffnen sich die Türen aus poliertem Stahl und der Blick von oben ist ein Fest fürs Auge: über die Reichstagskuppel hinweg bis zum Europa-Center im Westen. Im Norden die Charité, etwas weiter ein Dutzend Kräne: Berlins größte Baustelle, der Bundesnachrichtendienst. Berlin liegt dem Spreedreieck zu Füßen und seinem Bauherrn Harm Müller-Spreer. Der bekam vom Land die Genehmigung für einen Bau, der um die Hälfte größer war, als ursprünglich geplant. Und Millionen Euro in bar. Und zwei Grundstücke. Wie konnte es dazu kommen?

Ein Skandal, zwei Versionen. Die Parteien werden keinen gemeinsamen Abschlussbericht vorlegen

Die Version von Rot-Rot

Ein „dilettantischer Vertrag“, ein krasses Organisationsversagen der von Peter Kurth (CDU) geführten Finanzverwaltung und schlampige Arbeit bei der Oberfinanzdirektion – das liegt dem missglückten Grundstücksgeschäft am Spreedreieck zugrunde, sagt die rot-rote Koalition. Aber auch für Jochen Esser (Grüne) ist der Kaufvertrag die Hauptursache des späteren Schadens. Torsten Schneider (SPD) sagt es so: „Die CDU hat’s verzapft, der Rest ist Reparaturbetrieb.“ Für Schneider lief der Reparaturbetrieb unter Rot-Rot rund: Allenfalls einen Schaden von rund vier Millionen Euro lässt er seinen Parteigenossen zurechnen. Diese Summe hätten „Raubritter“ durch „politische Erpressung“ ergaunert. Gemeint sind die Nachbarn des Spreedreiecks, die vor das Oberverwaltungsgericht zogen und erfolgreich gegen die umstrittene Baugenehmigung zugunsten von Spree-Dreieck-Investor Müller-Spreer klagten.

Was aber ist mit der wiederholt heraufgesetzten Baufläche und den Millionen für Müller-Spreer? Kollateralschäden eines Kaufvertrages sind das für Rot-Rot, den die Kurth-Verwaltung so nie hätte unterzeichnen dürfen. Denn innerhalb der Finanzverwaltung war schon vor Unterzeichnung des fatalen Kaufvertrages ein auch für dieses Geschäft richtungsweisendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes bekannt. Danach ist jeder Grundstückseigentümer verpflichtet, „Lasten“ zugunsten der Bahn ins Grundbuch eintragen zu lassen, wenn unter der Erde Anlagen des Verkehrskonzerns verlaufen. Obwohl dieses Urteil vor der Unterzeichnung des Spreedreieck-Geschäftes erging, verpflichtete sich das Land Berlin gegenüber dem Investor, das Grundstück „lastenfrei“ zu übergeben. Mindestens ein Spitzenbeamter aus der Kurth-Verwaltung war bei der Urteilsverkündung dabei. Der andere, der den fatalen Kaufvertrag entwarf, erfuhr aber nichts davon. „Kollektives Organversagen“ unter CDU-Führung, nennt das Schneider. Der Fehler im Vertrag habe das Land in eine Zwangslage gebracht. Die wurde noch verschärft, weil die Oberfinanzdirektion einen Teil des Baulandes ein Jahr nach dem Verkauf dem Land entzog und der Bahn zusprach. Dieser korrigierte Eigentumsbescheid stärkte die Position des Investors noch: Nun konnte Berlin nicht mal mehr das verkaufte Grundstück vollständig liefern.

„Diese Karte ist vom Investor geschickt ausgespielt worden“, sagt Uwe Doering (Linke). Dass der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) den Schaden durch höheres Baurecht kompensieren lassen wollte, findet man bei SPD und Linke richtig. In ihrer Logik besteht der Schaden „nur“ aus den rund neun Millionen Euro, die Müller-Spreer in bar bezahlt wurden, sowie aus den Kosten für den Vergleich mit den Grundstücksnachbarn. Die zusätzliche Nutzfläche, von der Müller-Spreer dank maßgeschneiderter Baugenehmigung profitiert, sei kein finanziell messbarer Schaden. Und Schneider lobt die Senatorin Junge-Reyer für ihr „besonnenes“ Vorgehen in dem Konflikt. Für Rot-Rot war das Grundstücksgeschäft auch deshalb „die richtige Lösung“, weil dabei auch die Ansprüche der Erben von Max Reinhard auf die Rückgabe des Deutschen Theaters entgolten sind. Diese Rechte hatte sich Müller-Spreer gesichert und dafür das Spreedreieck bekommen. Der Koalition zufolge waren diese 30 bis 60 Millionen Euro wert – „auf jeden Fall aber mehr als der Gesamtschaden des Spree-Dreieck-Geschäftes“, so Schneider.

Die Version der Opposition

Fehlentscheidungen, Versagen und immer mehr Baufläche für einen gewieften Baulöwen – für die Opposition im Abgeordnetenhaus ist das der rote Faden in den Verhandlungen des Senats mit Investor Harm Müller-Spreer zur Bewältigung des missglückten Grundstücksgeschäftes am Spreedreieck. Die Hauptverantwortlichen für CDU, Grüne und FDP: Der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin sowie die noch amtierende Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer, beide SPD-Mitglieder. Dass sich die Opposition auf den politischen Gegner stürzt, verwundert nicht. Unverdächtig wirkt die Schelte aber da, wo es Schützenhilfe direkt aus dem gegnerischen Lager gibt.

Der Vorgänger von Junge-Reyer, Peter Strieder und sein mächtiger Senatsbaudirektor Hans Stimmann, beide Sozialdemokraten, hatten sich schon während ihrer Amtszeit vehement gegen die Strategie des damaligen Finanzsenators Sarrazin im Streit um das Bauland an der Spree gewehrt: Dass Berlin den Schaden aus einem missratenen Kaufvertrag kompensiert, indem die Behörden Zugeständnisse bei der Baugenehmigung machen. Für die Opposition war das ein „Kardinalfehler“. Erst nach Strieders Ausscheiden ging dessen Nachfolgerin im Bauamt, Ingeborg Junge-Reyer, offenbar bedenkenlos den umstrittenen Weg, zuletzt sogar im Alleingang. Als dem hanseatischen Baulöwen in jahrelangen Verhandlungen zwei Grundstücke und 8,7 Millionen Euro geschenkt, Grundsteuer erlassen und ein höheres Gebäude als vorgesehen genehmigt worden waren, gab Junge-Reyer noch einmal 3000 Quadratmeter teuer vermietbarer Fläche „ohne Not oben drauf“, sagt Jochen Esser von den Grünen. Dafür übernahm die Senatorin im Untersuchungsausschuss die Verantwortung. Ohne Gefahr für ihre politische Karriere, denn dafür hat sie den Segen von „ganz oben“: In den Zimmern des Abgeordnetenhauses kursieren Dokumente, wonach der „mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD abgestimmte Bauentwurf (...) eine Geschossfläche von 22 500 Quadratmeter“ vorsah – also noch mehr als dem Investor ohnehin schon geschenkt wurde, damit er auf Schadensersatz verzichtet.

Die Sozis liefern sich dem Wünschen und Wollen eines Investors aus – für die Opposition wurde das möglich, weil „die eigene Rechtsposition nie geklärt wurde“, sagt Florian Graf (CDU). Ein Rechtsgutachten sei überhaupt nur auf Drängen von Esser eingeholt worden, weil die Opposition die „Zusatzvereinbarung“ zwischen Senat und Investor ohnehin ablehnte. Dabei hinterließ eine frühe Bewertung der Rechtslage klare Zweifel daran, dass der Investor den angedrohten Schadensersatz in der von ihm geforderten Höhe vor Gericht hätte durchsetzen können. Doch einen harten Kurs hatte Sarrazin konsequent abgelehnt und den Senat zu dem teuren Vergleich genötigt.

Noch etwas zeigt die „Laienhaftigkeit“, mit der Berlin das Millionengeschäft anging: Schlüsselfiguren im Verhandlungspoker um Schadensersatz wechselten die Seiten. Der verstorbene Anwalt Klaus Riebschläger (SPD) beriet zunächst das Land und lief dann zum Investor über. „So etwas nennt man Klüngel“, sagt Esser. Die investorenfreundliche Baugenehmigung des Senats fiel vor Gericht durch und zwang Rot-Rot zu weiteren Millionenzahlungen an Grundstücksnachbarn, denen das Spreedreieck zu hoch ist. Auch das wäre laut Opposition vermeidbar gewesen, teilweise jedenfalls.

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