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Wurstproduktion in Brandenburg: Migranten, An- und Ungelernte verdienen besonders oft kaum mehr als den Mindestlohn.

© Thilo Rückeis

Update

Missverhältnis auf dem Arbeitsmarkt: Berlin und Brandenburg haben zu wenige Fachkräfte und zu viele Niedriglöhner

Die Arbeitslosenzahl ist im September gesunken in Berlin und Brandenburg. Zugleich werden alte Probleme wieder sichtbar.

Der Arbeitsmarkt in der Hauptstadtregion erholt sich von der Coronakrise. Es sind wieder deutlich mehr Menschen in Arbeit gemessen an den Monaten im Lockdown. Auch setzen immer weniger Unternehmen auf Kurzarbeit, bei der der Bund über die Agentur für Arbeit große Teile der Gehälter zahlt.

Nur noch knapp jede und jeder Zwanzigste sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Berlin erhielt zuletzt noch Kurzarbeitergeld, wie aus den am Donnerstag veröffentlichten Zahlen der Agentur hervorgeht.

Zugleich werden nun strukturelle Probleme, unter denen die lokale Wirtschaft seit Jahren leidet, wieder stärker sichtbar: So beklagen Unternehmen und ihre Verbände auf der einen Seite einen massiven Mangel an Fachkräften; zugleich gibt es einen großen Niedriglohnsektor, auf dem vor allem Migranten und ungelernte Arbeitskräfte nicht genug Geld verdienen, um ohne staatliche Unterstützung über die Runden zu kommen.

Im September waren in Berlin exakt 190.435 Frauen und Männer arbeitslos gemeldet, das waren 5724 weniger als im August und 18 847 weniger als ein Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote lag mit 9,4 Prozent um 1,1 Prozentpunkte niedriger als vor einem Jahr.

In Brandenburg waren derweil 73 094 Menschen arbeitslos gemeldet, das waren 2343 Menschen weniger als im August 2020 und 9951 weniger als im September des Vorjahres. Die Arbeitslosenquote lag hier bei 5,5 Prozent und damit 0,1 Prozentpunkte unter der Augustquote und 0,7 Prozentpunkte unter dem Vorjahresmonat. Die Quote in Brandenburg liegt damit genauso hoch wie im September 2019 – also Monate vor Ausbruch der Pandemie.

Berlin „hinkt noch etwas hinterher“

Bundesweit ging die Zahl der Arbeitslosen innerhalb eines Monats um 114.000 zurück auf 2,465 Millionen. Das entspricht 0,2 Prozent weniger, die Quote liegt damit bei 5,4 Prozent.

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Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt setze sich im September fort, fasste Ramona Schröder, Leiterin der Regionaldirektion der Arbeitsagentur, die Zahlen zusammen. Während in Brandenburg das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht sei, „hinkt Berlin noch etwas hinterher“.

Im Bundesländervergleich sei im August nur in Bremen die Arbeitslosigkeit höher gewesen. Unternehmen suchten weiter neue Leute. „Freie Stellen finden sich quer durch alle Branchen, vor allem im Einzelhandel, in den freiberuflichen Dienstleistungen sowie im Handwerk und in der Industrie“, sagte Schröder Nachrichtenagentur dpa.

In Brandenburg sind aktuell gut 25.000 freie Stellen gemeldet, 20 Prozent mehr als vor einem Jahr. „Allen jungen Leuten, die überlegen, jetzt noch eine Ausbildung zu beginnen, möchte ich sagen: Es ist immer noch vieles möglich“, sagte Schröder.

„Corona-Nachwirkungen bleiben für den Arbeitsmarkt wie ein Klotz am Bein“

Beim Dachverband der regionalen Unternehmensverbände (UVB) deutete man die Zahlen weniger positiv. „Die Corona-Nachwirkungen bleiben für den Arbeitsmarkt wie ein Klotz am Bein“, schrieb der stellvertretende UVB-Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp in einer Mitteilung. Die Arbeitslosigkeit gehe zurück, „aber weiterhin zu zaghaft – obwohl der Monat September üblicherweise Rückenwind für den Arbeitsmarkt bedeutet.“

[Lesen Sie hier einen Report über den Ausbildungsstart bei Knorr Bremse in Berlin-Marzahn]

Die Unternehmen würden erst die Kurzarbeit zurückfahren, bevor sie in größerem Stil neues Personal einstellten. „Dadurch entstehen noch zu wenig neue Arbeitsplätze, um die Verluste im Zuge der Pandemie auszugleichen. Zudem bremsen die Lieferschwierigkeiten bei Rohstoffen und Vorprodukten vielerorts die Produktion“, schrieb Schirp von den UVB weiter.

Sebastian Stietzel, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK), verband die aktuellen Zahlen mit politischen Forderungen. Nicht zuletzt aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung hätten sich Berufsbilder und damit die Anforderungen an die Kompetenzen der Beschäftigten rasant verändert. „Deshalb sollte der nächste Senat Integration, Qualifizierung und Vermittlung ganz oben auf seine To-Do-Liste setzen. Dazu gehören auch mehr Weiterbildungsberatung und die längst überfällige Evaluierung aller arbeitsmarktpolitischen Instrumente“, schrieb Stietzel.

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Während Unternehmen über das Fehlen von Fachkräften und unzureichende Weiterbildung klagen, erinnerte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) an die Hunderttausenden Menschen in der Hauptstadtregion, die nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, da sie arbeiten – allerdings nur für sehr kleines Geld.

Laut einer erst vergangenen Woche vorgelegten Studie gab es vor Corona in Brandenburg 280.000 abhängige Arbeitnehmer, die zu einem Stundenlohn von weniger als 11,13 Euro (das entspricht zwei Drittel des mittleren Bruttostundenlohns im Untersuchungszeitraum) gearbeitet haben. Betroffen war fast jede und jeder Vierte (24,3 Prozent).

In Berlin lag der Anteil der Arbeitnehmer in diesem Niedriglohnsektor noch höher: bei 27,7 Prozent und damit ebenfalls deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt (20,7 Prozent in 2018). Besonders oft arbeiten Ausländer, An- und Ungelernte und Minijobber für einen Niedriglohn. (mit dpa)

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