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Berlin: Mit 27 in den Bundestag

Unter den jüngsten Direktkandidaten hat Sandra Brunner (PDS) die größten Chancen, ein Mandat zu gewinnen

Von Jeannette Goddar

Um festzustellen, dass Sandra Brunner keinen übermäßigen Respekt vor älteren Herren hat, genügt ein Blick auf den Fußboden in ihrem Wahlkampfbüro. Zusammengeknüllt liegt das Konterfei Gregor Gysis in der Ecke. In den Räumen von Sandra Brunner hängt vor allem Sandra Brunner an der Wand. Den Einzug in den Bundestag will die 27-Jährige alleine schaffen – oder jedenfalls nicht als Anhängsel von irgendwem.

Die Jura-Studentin ist die jüngste Bundestagskandidatin der Berliner PDS, aber nicht nur das: Sie ist auch die jüngste Berliner Kandidatin mit einer realistischen Chance auf Einzug in den Bundestag überhaupt. In Pankow/Prenzlauer Berg/Weißensee tritt sie gegen drei Prominente an, die alle etwa doppelt so alt sind wie sie: Wolfgang Thierse (SPD), Günter Nooke (CDU) und Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen).

„Verdiente Herren sind das“, konstatiert sie nicht ohne Schalk in den Augen, „aber kommt nicht irgendwann der Zeitpunkt, an dem man sich nicht mehr auf seinen Meriten ausruhen kann?“ Nicht erst die Shell-Studie lieferte ein beredtes Zeugnis der Politikmüdigkeit der Jugend. Nur ein Drittel der unter 25-Jährigen hat erklärt, zur Bundestagswahl gehen zu wollen. Ein weiteres Drittel war zum Umfragezeitpunkt unentschieden. Auch wenn man sich an derartige Erkenntnisse längst gewöhnt hat, war das nicht immer so. Bis Anfang der 80er-Jahre antwortete ein immer größer werdender Teil der Jugendlichen auf die regelmäßig vom Institut für Demoskopie Allensbach gestellte Frage „Interessieren Sie sich für Politik?“ mit „Ja“. Dann kippte der Trend.

Doch es gibt auch Menschen wie Sandra Brunner. Die, wie soviele ihrer Generation politisch durch den Golfkrieg 1991 aufgeweckt wurde. Als 16-Jährige saß sie erst in der Landes-, dann in der Bundesschülervertretung. Mit 19 wurde sie in der PDS aktiv. Ein Kulturschock ereilte sie dann bei ihrem ersten Besuch an der Basis: „Außer mir war einer unter 30, der Rest über 60. Herrje, dachte ich, nun haben sich alle Klischees erfüllt.“ Doch sie blieb: „Strukturen verändern kann ja auch Spaß machen“, sagt sie.

Es gibt sie doch noch, die Jungen, die sich in der traditionellen Politik engagieren wollen. Sieht man sich in den Berliner Parteien um, bekommt man aber auch den Eindruck, dass diese nicht gerade die allererste Adresse für Karrieren im jugendlichen Alter sind. In der SPD ist der jüngste Kandidat aller Zeiten immerhin schon 33 und zeitgleich stellvertretender Landesvorsitzender. Andreas Matthae ist eher ein typischer Vertreter einer Kreuzberger Generation, die schon immer länger jung blieb als andere: Unverheiratet, kinderlos, wohnhaft in einer Wohngemeinschaft. Biertrinker, regelmäßiger Gast in der Kreuzberger Kneipenszene, Besitzer der Tapas-Bar Sol y Sombra am Oranienplatz. Als er nach der Schule beschloss, politisch aktiv zu werden, guckte er sich gezielt die Grünen und die SPD an. Erstere erschienen ihm zu chaotisch. Er trat in die SPD ein, wurde aber erst aktiv, als Walter Momper 1991 in eine Große Koalition einstieg – aus Protest. Mit 22 wurde er Ortsvereins-, mit 28 Kreisvorsitzender. 1999 trat Matthae nach einer Phase massiver Anfeindungen vor allem durch altgediente Berliner Sozialdemokraten zurück. Bei der Bundestagswahl tritt er in dem umkämpften Wahlbezirk Kreuzberg/Friedrichshain/Prenzlauer Berg Ost gegen den Grünen Christian Ströbele sowie die ehemalige PDS-Bezirksbürgermeisterin Bärbel Grygier an. Holt er das Mandat nicht, ist sein Einzug in den Bundestag über die Landesliste (Platz 5) so gut wie gesichert.

Kai Wegner, der noch vor der Bundestagswahl 30 wird, ist der jüngste CDU-Kandidat und tritt in Spandau gegen den SPD-Vorsitzenden Swen Schulz an. In die Politik ging er, weil er die erste rot-grüne Koalition der Stadt im Jahre 1989 so indiskutabel fand, dass er beschloss, sich zu engagieren. Zwischen seinem Eintritt in die Junge Union und dem stellvertretenden Fraktionsvorsitz im Berliner Abgeordnetenhaus, den er heute innehat, lagen 10 Jahre, in denen er sich von einem Posten zum nächsten vorarbeitete. Dass er das einmal hoch spannend finden würde, sagt er, hätte er sich nicht träumen lassen. „Natürlich ist man manchmal entsetzt über dröge Gremiendebatten“, sagt er, „aber irgendwann habe ich beschlossen, das System von innen zu verändern.“

Wegner ist einer jener Jungpolitiker, an denen man ablesen kann, dass Jugendlichkeit in Verbindung mit Politik keineswegs etwas mit Revolution zu tun haben muss: Er schätze „wertkonservative Grundsätze und Maßstäbe“ heißt es auf seiner Postkarte zur Bundestagskandidatur.

Ein Blick auf die Kandidatenliste der Grünen bestätigt vor allem, dass die Erkenntnis der Shell-Studie, die Grünen hätten als Partei der Jugend ausgedient, auch strukturell gilt: Die jüngste Kandidatin heißt Anja Schillhaneck, ist 29 und selbst in ihrer eigenen Partei weitgehend unbekannt. Sie hält den fünften Platz der Landesliste zwischen den altbekannten Landesabgeordneten Hartwig Berger und Michael Cramer. Ihre Chancen auf ein Bundestagsmandat gehen gegen Null.

Gleiches gilt für den jüngsten Berliner Kandidaten überhaupt: Christian Starkgraff ist zwar erst 20 – aber so gut wie chancenlos, sich als Kandidat der FDP in Marzahn/Hellersdorf durchzusetzen. 24 und ebenfalls ohne Aussicht auf ein Mandat ist die Polizeimeisterin Valeska Jakubowski, die in Mitte als einzige Berliner Direktkandidatin der „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ des Hamburger Innensenators Ronald Schill startet.

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