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Berlin: Mit Augenkontakt in den Kreisverkehr

Ein Niederländer ist sicher, dass es auch ohne Ampeln und Schilder geht Heute stellt der Wissenschaftler sein Projekt in Berlin vor

Straßen ohne Ampeln und Verkehrsschilder, keine Gehwege, nur eine Fahrbahn, die sich Auto- und Radfahrer, Fußgänger und spielende Kinder teilen – und trotzdem kaum Unfälle: Das ist durchaus machbar, sagt der Verkehrsplaner Hans Monderman. Unrealistisch für Berlin, kontert die Stadtentwicklungsverwaltung. Heute stellt Monderman sein Projekt in Berlin vor.

„Shared Space“, geteilter Raum, nennt er sein Projekt. Verwirklicht hat er es bereits – im niederländischen Städtchen Drachten. In sieben kleineren europäischen Kommunen soll es weiter erprobt werden; in Deutschland ist Bohmte bei Osnabrück dabei, wo die Umbauarbeiten jetzt begonnen haben. In dem 7500 Einwohner zählenden Städtchen wird eine Hauptdurchgangsstraße zum „shared Space“ umgebaut. 12 600 Autos donnern hier täglich vorbei, darunter viele Lastwagen. Eine stark befahrene Einmündung wird in einen „Dorfplatz“ umgebaut – ohne Ampeln, ohne Stoppschilder und auch ganz ohne Vorfahrtsregeln.

„Die Leute wissen dann nicht mehr, was sie tun müssen. Also suchen sie den Augenkontakt“, sagt Monderman, der das EU-Projekt wissenschaftlich begleitet. „Und wenn man sich gegenseitig in die Augen blickt, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.“ Bei holländischen Projekten sei die Zahl der Unfälle jedenfalls – wie auch die Zahl der Schwerverletzten und der Toten im Straßenverkehr – erheblich zurückgegangen.

Die Verkehrsexpertin der Grünen, Claudia Hämmerling, die Monderman zum Vortrag eingeladen hat, ist überzeugt, dass das Modell auch in Berlin funktionieren würde. Anbieten würde sich ihrer Ansicht nach etwa die Karl-Marx-Straße in Neukölln oder der Bereich um den U-Bahnhof Schlesisches Tor in Kreuzberg.

Der Grundgedanke sei gut, sagt auch die Sprecherin der Stadtentwicklungsverwaltung, Petra Rohland. Ohne Verbote sei die Aufmerksamkeit sicher höher. „Doch der Mischverkehr aller Verkehrsteilnehmer auf einer Fläche funktioniert in der Großstadt nicht“, schränkt Rohland ein. Hier gebe es ein zu komplexes System von Haupt- und Nebenstraßen. Die Verkehrsströme darauf werden von knapp 2000 Ampeln geregelt.

Für Ronald Winkler vom ADAC in München ergibt es keinen Sinn, beim „Shared-Space-Projekt“ zwischen Groß- und Kleinstadt zu unterscheiden. „Gelingen kann es überall“, sagt er. Kleinere Kommunen hätten lediglich oft den Vorteil, den Durchgangsverkehr über Umgehungsstraßen führen zu können.

Entscheidend sei vielmehr das Geld. Das Projekt beschränke sich nicht auf den Abbau von Ampeln und Schildern, sondern erfordere auch den Umbau der Straßen. Gehwege fallen weg, Kreuzungen werden durch Kreisverkehre ersetzt.

Der Umbau zum Dorfplatz in Bohmte soll etwa 1,3 Millionen Euro kosten; im Modellprojekt übernimmt die EU davon 500 000 Euro. Würde Berlin auf den Bau neuer Straßen verzichten, könnte das Geld für „Shared-Space-Projekte“ aufgebracht werden, erwidert Hämmerling.

Völlig ungewiss sei, wie die Berliner auf eine solche „Anarchie“ auf der Straße reagieren würden. Was in Holland funktioniere, müsse in Deutschland nicht unbedingt klappen, sagt Winkler. In den Niederlanden pflege man grundsätzlich einen ganz anderen Umgang mit Radfahrern und Fußgängern – man sei viel rücksichtsvoller. Sogar ohne „Shared-Space-Projekte“.

Hans Monderman stellt sein Projekt heute bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion um 17 Uhr im Abgeordnetenhaus vor.

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