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Berlin: Mit besonderem Auftrag

Altbischof Martin Kruse feiert heute seinen 75. Geburtstag

„Gott ist nicht im Ruhestand.“ Dieser Satz gehört zu den klassischen Aussagen von Martin Kruse, dem evangelischen Altbischof und Stadtältesten von Berlin. Wer so über Gott redet, wird sich auch selbst nicht aus der Verantwortung stehlen. Von 1977 an hat Martin Kruse 17 Jahre lang die Geschicke der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg bestimmt. Seit zehn Jahren ist er nun im Ruhestand. Nach wie vor ist er präsent und setzt sich ein, wo er gebraucht wird. Aber denen, die heute Verantwortung tragen, lässt er Raum. Er steht zur Verfügung, wo sein Rat gesucht wird; aber nie setzt er sich in Szene.

Wie die Geschichte das eigene Wirken prägt, hat niemand in der Hand. Martin Kruse kam ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Bau der Bauer und ihrem Fall nach Berlin. 1976 wurde der damalige Landessuperintendent von Stade, einer der führenden Geistlichen der Hannoverschen Landeskirche, zum Nachfolger Kurt Scharfs gewählt. Zum 1. Januar 1977 trat er das Bischofsamt in der geteilten Stadt an. Er, dem das ländliche Kirchenleben aus seiner Heimat wohl vertraut war, wurde zum Stadtbischof. Die Auseinandersetzungen im damaligen West-Berlin nahm er an, auf Konsens eingestellt, aber dem Konflikt nicht ausweichend. Glaubwürdigkeit vermittelte er nach beiden Seiten: zu den Hausbesetzern wie zu den politisch Verantwortlichen. Die Teilung akzeptierte er nicht als ein unabänderliches Geschick. Mit den Bischöfen in der Ostregion der Berlin-Brandenburgischen Kirche – Albrecht Schönherr und Gottfried Forck – war er nicht nur im Gespräch, sondern auch wandernd unterwegs. Als die Mauer fiel, kannte er mehr als nur den Westteil der Stadt. Er kannte den Ostteil ebenso wie große Teile Brandenburgs. So prägte er auf gewinnende Weise den gemeinsamen Weg unserer Kirche in Ost und West.

Doch als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war Martin Kruse nicht nur Bischof der sich wieder vereinigenden Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg; er war zugleich Ratsvorsitzender der EKD. Ihm fiel es zu, in diesem historischen Augenblick die Evangelische Kirche in Deutschland zu repräsentieren. In einem denkwürdigen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sprach er im Namen der Kirche, für die Deutschlands Einheit von Anfang an ein wichtiges Thema gewesen war. Denn Gottes Wort ist in seinem Wirken nicht an staatliche Grenzen gebunden.

Gebunden ist es auch nicht an hergebrachte Vorstellungen von einem wohlanständigen Leben. Als der frühere Regierende Bürgermeister dieser Stadt, Richard von Weizsäcker, vor mehr als zwanzig Jahren, öffentlich gerüffelt wurde, weil er den Hausbesetzern angeblich zu viel Entgegenkommen zeigte, schrieb eine Berliner Zeitung, die Kritik habe eigentlich gar nicht ihm zu gelten, sondern dem „heimlichen und unheimlichen Herrscher von Berlin, dem evangelischen Landesbischof Martin Kruse“. Der so Geehrte wehrte ab. Er wollte immer nur ein „Pfarrer mit besonderem Auftrag“ sein.

Glaubwürdig für die eigene Kirche kann er eintreten, weil er zugleich ein Anwalt der Ökumene ist. Die Erneuerung des Verhältnisses zwischen katholischer und evangelischer Kirche, das Eintreten für bedrohte Menschen in aller Welt, die Präsenz dort, wo Menschen in Not sind: Dies prägt Martin Kruse bis zum heutigen Tag. Als die Regelung von Altfällen aus dem Flüchtlingsbereich in Brandenburg anstand, war Martin Kruse zur Stelle. Als den Opfern der Oderflut von 1997 geholfen werden sollte, war er bereit. Gott ist nicht im Ruhestand – Martin Kruse auch nicht.

Der Autor ist Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands und Berliner Bischof. Martin Kruse eröffnet gemeinsam mit Georg Kardinal Sterzinsky bei einem ökumenischen Gottesdienst am kommenden Sonnabend im St. Gertrauden-Krankenhaus in Wilmersdorf, Paretzer Straße 12, die diesjährige „Woche für das Leben“. Beginn ist um 15 Uhr.

Wolfgang Huber

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