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Berlin: Mit dem Rucksack zum Pröbchen-Sammeln

Von Ingo Bach „Schon wieder eine Lebensmittelwarnung", stöhnt Gudrun Pioch, Amtstierärztin von Marzahn-Hellersdorf, und heftet die Meldung, dass sich das verbotene Pflanzenschutzmittel Nitrofen in Bio-Lebensmitteln finden könnte, unter Nummer 136 des laufenden Jahres ab. Hinter jeder Meldung, die die Gesundheitsbehörden von EU oder Bundesrepublik in Umlauf bringen, steht ein Lebensmittelskandal.

Von Ingo Bach

„Schon wieder eine Lebensmittelwarnung", stöhnt Gudrun Pioch, Amtstierärztin von Marzahn-Hellersdorf, und heftet die Meldung, dass sich das verbotene Pflanzenschutzmittel Nitrofen in Bio-Lebensmitteln finden könnte, unter Nummer 136 des laufenden Jahres ab. Hinter jeder Meldung, die die Gesundheitsbehörden von EU oder Bundesrepublik in Umlauf bringen, steht ein Lebensmittelskandal. Antibiotika im Honig, Krankheitserreger im Fleisch, Pflanzenschutzmittel in Eiern oder Schimmelpilzgifte in Milchprodukten. „Wir kommen kaum noch hinterher", klagen die Tierärzte, die in den Bezirken für die Lebensmittelkontrolle zuständig sind. Denn nach jedem Alarm müssen die Kontrolleure die betroffenen Produkte im Labor analysieren lassen.

Das ist manchmal schwierig. Zum Beispiel dann, wenn sie nach Räucheraal aus China fahnden sollen, weil irgendwo verbotene Farbstoffe in einer Lieferung nachgewiesen wurden. Oder sie in Tiefkühltruhen nach falsch deklariertem neuseeländischem Hirschfleisch wühlen müssen. In beiden Fällen gaben die Kontrolleure des Bezirksamtes Entwarnung – sie fanden die Ware gar nicht erst. Beide Produkte waren offensichtlich zu exotisch für Marzahn-Hellersdorf.

Die Zahl der Warnmeldungen hat sich im Vergleich zum Jahr 2000 fast verdoppelt. 685 Mal wurde 2001 in den Behörden Gesundheitsalarm gegeben. „Das liegt nicht unbedingt an der wachsenden kriminellen Energie der Hersteller", sagt Amtstierärztin Pioch. „Eher an den schärferen Kontrollen."

Nun macht also Nitrofen die Biolebensmittel unsicher. Und plötzlich sind Bioeier im Bezirk von Gudrun Pioch fast so rar, wie chinesischer Aal oder neuseeländischer Hirsch. Die Kontrolleure, die am Dienstag und Mittwoch unterwegs waren, um verdächtige Produkte ausfindig zu machen, standen oft vor leeren Regalen. Supermärkte hatten sofort nach Bekanntwerden des Skandals hektisch die Bioeier weggeräumt. „Wir konnten nur drei Proben sicherstellen", sagt Pioch.

Je zwei Packungen müssen die Fahnder sicherstellen, eine fürs Labor, eine zweite wird versiegelt und beim Händler hinterlegt - falls der Hersteller der staatlichen Analyse nicht traut und eine Gegenkontrolle beauftragt. Jeden Tag ziehen die Lebensmittelkontrolleure mit Rucksack und Kühltasche los, um Pröbchen zu sammeln. Meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln. „Nur in Ausnahmefällen, wenn es ganz schnell gehen muss, können wir Fahrten mit dem Auto genehmigen", sagt Amtschefin Pioch. Bei der Nitrofen-Suche hat sie Autofahrten genehmigt, damit die Eier schnell ins Untersuchungslabor des Lebensmittelinstitutes Ilat in der Nähe des Lehrter Bahnhofs gebracht werden konnten.

Die Untersuchungen dort sind nicht billig. Die volle Kontroll-Palette – etwa wenn mit Hilfe eines Gaschromatographen eine komplette Rückstandsanalyse vorgenommen wird – kann schnell bis zu 1500 Euro kosten. Normale Proben liegen bei 320 Euro.

„Wir sind am Rande unserer Möglichkeiten“, sagen viele Amtstierärzte. Das Personal reiche nicht mehr aus, um alle Aufgaben qualitätsgerecht zu erfüllen. 700 000 Euro stehen in Marzahn-Hellersdorf für Lebensmittelkontrolleure und Analysen jährlich zur Verfügung. Mehr Geld und Personal wird es in Berlin wegen der klammen Kassen nicht geben. Könnte eine Privatisierung die Lösung sein? Nein, sagt die Gesundheitssenatorin. Und auch Gudrun Pioch hält nichts davon. „Der Skandal um die falschen BSE-Tests in Privatlaboren, der vor einigen Wochen Schlagzeilen machte, zeigt doch, dass nur staatliche Kontrolleure die wirtschaftliche Unabhängigkeit und Objektivität der Kontrollen gewährleisten."

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