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Berlin: Mit den Engeln durch die Lange Nacht

Bis zum frühen Morgen waren die Museen am Wochenende voll. Dann gingen Nimmermüde zur Andacht in den Dom

Zehn Minuten vor 2 Uhr ertönt Sonntag früh in der Alten Nationalgalerie ein tiefer Gong. Eine Stimme verkündet den „sehr geehrten Besuchern“, dass das Haus in wenigen Minuten schließt. Nach dem nahen Ende der Langen Nacht sieht es um diese Zeit noch lange nicht aus. Noch immer eilen Besucher in das prachtvolle Gebäude, das schon draußen in der winterlich-weißen Nacht durch eine Licht- und Klanginstallation zu einem Erlebnis der besonderen Art wird.

Auf der weiten Schneefläche vor dem Stüler-Bau haben es sich ein paar Wetterfeste dazu sogar in Liegestühlen gemütlich gemacht – zu den atmosphärischen Klängen, die aus dem Hintergrund über das Areal auf der Museumsinsel tönen, blicken sie andächtig auf die blau leuchtende Fassade vor sich, ringsum leuchtet es rot aus den Säulengängen.

„Ist das romantisch“, seufzt eine Frau, die sich vor der Alten Nationalgalerie an einem Stand mit Grog aufwärmt. Seit Stunden ist sie in der Langen Nacht unterwegs. Gegen Mitternacht erlebte sie die Kür der Königin der Nacht. Im Kulturforum hatten die Besucher das schönste Kostüm der Venezianischen Nacht unter 50 Bewerbern ausgesucht. Auch Kinder harrten bis Mitternacht aus, um sich im Tanzschritt zu präsentieren. Nummer 41 gewann schließlich. Die Dame trug ein blaues Rokoko-Kleid mit weißen Spitzenärmeln und einen gigantischen Dreispitz mit Federn. Ihre Identität wurde nicht verraten – immerhin handelt es sich um einen Maskenball.

„Einfach toll“, findet knapp zwei Stunden später die Besucherin die ganze Lange Nacht. Zu deren Ende will sie nun schnell noch in die Alte Nationalgalerie. In der wird es kurz vor Schluss etwas hektisch. Buchstäblich in letzter Minute hetzen noch immer Besucher zum „Watzmann“ empor. Will der doch auch als Gemälde erklettert sein – die Ausstellung von Caspar David Friedrich war bis einschließlich gestern in der 3. Etage untergebracht.

„Ich hab gar nicht gewusst, dass der auch den Watzmann gemalt hat“, flüstert vor dem imposanten Gemälde eine Besucherin ihrer Freundin zu. Ein Pärchen genießt eng umschlungen den Anblick des berühmten Bergmassivs, dessen Eisspitze unter der Sonne funkelt. Einen Vater fasziniert mehr die utopisch heile Welt, die der Maler Ernst Ferdinand Oehme 1827 auf seinem Bild „Ave Maria. Abend in den Tiroler Alpen“ in der Ausstellung „Der Watzmann“ zeigt. Lange steht er vor der dargestellten bäuerlichen Welt – den schlafenden Sohn hält er sorgsam auf den Armen.

Andere Kinder sind noch putzmunter. Ein Elternpaar hat gleich drei Sprösslinge im Schlepptau – die Touristen aus Weimar wollten ihren Nachwuchs nicht im fremden Hotelbett allein lassen, auf die Lange Nacht aber auch nicht verzichten.

Als ein weiterer Gongschlag deren Ende fünf Minuten vor 2 Uhr in der Nationalgalerie hallend verkündet, rennen dort etliche scheinbar nimmermüde Museumsbesucher noch schnell zum „Watzmann“ empor, während andere ebenso eilig „Im Garten von Max Liebermann“ unterwegs sind. In der gleichnamigen Ausstellung hetzen sie sozusagen im Schnelldurchlauf durch Frühling und Sommer am Wannsee – vorbei an Rosen, Phlox, Lavendel, sattem Rasengrün und blühenden Kastanien.

„Mist. Die Wolkenbilder schaffen wir nicht mehr“, geben sich um 2 Uhr ein paar junge Leute geschlagen, die Ausstellung „Wolkenbilder – „Die Entdeckung des Himmels“ nicht mehr sehen zu können. Das Museumspersonal beginnt jetzt unmissverständlich einzelne Türen zu schließen. Irgendwann muss ja Schluss sein.

Im Foyer kommen die jungen Leute dann noch zu einem „Wolkenbild“ – als Poster. Nach Hause gingen sie damit aber noch nicht. Läuteten doch draußen laut die Glocken vom Berliner Dom – „da gibt es um 2 Uhr eine Andacht“, weiß einer, „mal sehen, wie das ist.“

Das wollen zum Ende dieser Langen Nacht dann erstaunlich viele. Gut 200 Besucher füllen die Bänke in dem gedämpft erhelltem Gotteshaus. Vorn leuchtet der Stern von Bethlehem über der noch aufgebauten Weihnachtskrippe. Oben auf der Empore flackern unzählige Kerzen, leises Orgelspiel beruhigt die von so vielen Kunsteindrücken bewegten Nerven.

Andacht und Frieden ziehen in die Zuhörer ein, denen der Pfarrer vorn am halbdunklen Altar von Engeln erzählt. Die Boten Gottes sind sozusagen wieder „in“, bewege doch immer mehr Menschen die Sehnsucht nach einer heilen Welt. „Die Engel geben uns Hoffnung, dass unser Leben nicht ins Leere läuft“, hören die nächtlichen Besucher im Berliner Dom. Wer brauchte ihn nicht – so einen Engel der Stille, bei dem man ausruhen kann.

Die jungen Leute, die es mehr aus Neugier von der Alten Nationalgalerie zur Andacht in den Dom gezogen hatte, verlassen halb 3 Uhr still und besinnlich gestimmt das Gotteshaus. „Das war ein schöner langer Tag, und es war eine noch schönere Nacht“, sagte einer.

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