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Berlin: Mit der Kippa in die Brunnenstraße

Die Thora-Schule der Lauder-Stiftung ist so erfolgreich, dass sie mehr Platz braucht. Der neue Standort ist schon gefunden – eine frühere Synagoge

Zsolt Balla ist Wirtschaftsingenieur – und Thora-Schüler. Seit drei Jahren studiert der 26-Jährige im orthodoxen „Jüdischen Lehrhaus“der Ronald-S.-Lauder-Stiftung in Berlin. Balla will Rabbiner werden. Der junge Ungar entspricht genauso wenig dem Klischee eines orthodoxen Juden wie der Berliner Direktor der Lauder-Stiftung, Rabbiner Joshua Spinner. Statt Bart und Schläfenlocken wie sie bei den chassidischen Juden üblich sind, trägt Balla zu Turnschuhen Jeans und kariertes Hemd. Rabbi Spinner, 34 Jahre alt, Amerikaner, hat einen eleganten dunkelblauen Anzug an. Wenn sie das Haus verlassen, setzen sie eine Kippa auf. Erst dann erkennt man, dass sie etwas mit dem Judentum zu tun haben.

Auch der Unterricht im Lehrhaus läuft anders ab, als man es sich bei einer orthodoxen Thora-Schule vorstellt. In der Mitte der hellen Klassenräume in der Rykestraße steht der Thora-Tisch, darum gruppieren sich Schultische. Es ist sehr laut. Der Rabbi betet nichts vor. Vielmehr streiten immer zwei Schüler so lange über eine Thora-Stelle, bis sie sich über die Auslegung geeinigt haben. „Je lauter es dabei zugeht“, sagt Rabbi Spinner, „umso besser“. Unterrichtssprache ist Englisch. Um 6.15 Uhr geht es los, um 21.15 Uhr ist Schluss.

So soll es auch bald in der Brunnenstraße 33 zugehen. Denn die Räume in der Rykestraße werden zu eng. Schon jetzt lernen hier 28 Männer zwischen 16 und 26 Jahren hier, die meisten aus Osteuropa und Russland. Einige kommen nur nachmittags, vormittags gehen sie ins Jüdische Gymnasium. Andere haben in Krakau oder Budapest gerade das Abitur gemacht und wollen sich in Berlin für ein, zwei Jahre intensiv mit dem jüdischen Glauben beschäftigen, bevor sie „weltliche“ Fächer studieren. Nur zwei Thora-Schüler wollen Rabbiner werden. In der Etage unter den Klassenräumen reihen sich die Kantine und Schlafräume mit Stockbetten aneinander.

Wie ein „Sechser im Lotto“ sei es gewesen, sagt Rabbi Spinner, dass er und der jüdische Arzt Roman Skoblo zueinander gefunden haben. Skoblo hat vor drei Jahren das Gebäude der früheren Synagoge im Hinterhof der Brunnenstraße 33 gekauft, mit dem Ziel, wieder jüdisches Leben anzusiedeln. Kommenden Mai will Spinner mit seinen Schülern dorthin umziehen und 30 weitere aufnehmen. „Die Nachfrage ist enorm“, sagt Spinner.

Schon vor dem Krieg waren die führenden Thora-Schulen in Berlin. Das wünscht Spinner sich auch wieder für die Zukunft. Heute gibt es eine Thora-Schule in Kiew und zwei in Moskau, im Westen einige in Frankreich und England. Das Jüdische Lehrhaus in der Rykestraße, auch Beit Midrash oder Yeshiva genannt, öffnete vor fünf Jahren als erste deutsche Thora-Schule nach dem Krieg. Mittlerweile unterhält die Lauder-Stiftung, die ein Sohn der Kosmetikproduzentin Estée Lauder gegründet hat, auch eine Thora- Schule für Mädchen in Frankfurt/Main, weitere Einrichtungen in Dresden und Hamburg sind geplant. Auch die Räume in der Rykestraße sollen weiter als Schule genutzt werden.

Die Synagoge in der Brunnenstraße wurde 1910 für einen polnischen Beterverein geweiht. In der Rosenthaler Vorstadt lebten damals viele Juden, denn das Rosenthaler Tor war bis ins 19. Jahrhunderts das einzige, durch das Juden in die Stadt durften. Da gläubige Juden am Sabbath zu Fuß in die Synagoge gehen müssen, war für viele Ältere der Weg zu den großen Synagogen wie in der Oranienburger Straße zu weit. Deshalb entstanden in Hinterhöfen kleine Privatsynagogen. Die in der Brunnenstraße ist die einzige, die die Pogromnacht 1938, den Krieg und die DDR zumindest äußerlich überstanden hat. Eine Nachbarschaftsinitiative setzte sich nach der Wende dafür ein, dass sie erhalten bleibt und in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird, nachdem sie in der DDR als Lager und Büro des VEB Berlin-Kosmetik diente. Der Initiative ist es zu verdanken, dass die Säulen im Erdgeschoss und die Empore freigelegt wurden. Entsprechend verärgert sind die Nachbarn darüber, dass im Erdgeschoss, wo heute Bauschutt unter den Sohlen knirscht, der Speisesaal eingerichtet werden soll – ohne Säulen.

Für den Klassenraum in der oberen Etage soll wieder eine Zwischendecke eingezogen werden. Im Vorderhaus und im Seitenflügel werden Schlafräume, Wohnungen für die Rabbinerfamilien und ein Kindergarten entstehen. Auf dem Gehweg der Brunnenstraße müssen Sicherheitspoller das Haus abschirmen, im Hof eine fünf Meter hohe Mauer mit zwei Meter hohem Metallaufsatz. So ist es mit der Polizei vereinbart. Dass die Poller Parkplätze wegnehmen, stört die Nachbarn nicht so sehr wie der Abriss der Säulen für den Speisesaal – und erst recht, dass in der Synagoge auch gegessen werden soll. „Das ist doch eine profane Handlung“, sagt ein Mitglied der Initiative, die nichts in einer Synagoge zu suchen habe.

Rabbiner Spinner findet die Empörung gelinde gesagt merkwürdig. Leute, die sich nicht mit dem Judentum auskennen, wollen ihm erklären, was man in einer Synagoge tun könne und was nicht, sagt er und schüttelt den Kopf. Das Wichtigste im Judentum, wichtiger auch als Beten, sei das Lernen. Zum Lernen gehöre auch das gemeinsame Essen, weil dabei über das Gelernte diskutiert werde. In einer Synagoge zu speisen, sei also nichts Besonderes. Und die Säulen würden die Sicht versperren. „Allein die Funktionalität zählt, nicht die Ästhetik“, sagt Spinner.

„Mir ist wichtiger, dass sich hier wieder jüdisches Leben ansiedelt, als dass ein totes Museum entsteht“, sagt der Eigentümer Roman Skoblo. Mit diesem Argument hat er auch Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau (Grüne), Bürgermeister Joachim Zeller (CDU) und das Denkmalamt überzeugt. Den Umbau und die Sanierung finanziert Skoblo selbst. Vor einer Woche hat nun auch die Stadtverordnetenversammlung dem Umbau zugestimmt – unter der Bedingung, dass Spinner nachweist, dass er für den Schulbetrieb unbedingt notwendig ist. Das dürfte ihm nicht schwer fallen. So pragmatisch, eloquent und charmant, wie er ist.

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