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Berlin: Mit Fingerspitzengefühl am Nashorn

Für sehbehinderte Menschen gibt es Führungen durch Zoo und Tierpark. Mensch und Kreatur kommen sich dabei sehr nahe

Wenn die indische Elefantendame Pang Pha sich mit einem ihrer baumstammdicken Beine am anderen kratzt, dann klingt es, als ob jemand mit grobem Schmirgelpapier über ein Stück Holz reibt. Ein Lama fühlt sich so wuschelig an wie ein nagelneuer Wollpullover und im Haus der Nashörner riecht es ein bisschen wie im Pferdestall.

Wie korpulent ein Nashorn ist und welche Farbe das weiche Lamafell hat, sehen die Teilnehmer dieser besonderen Führung durch den Zoo nicht: Sie sind blind. Oder so schwer sehbehindert, dass sie nur einzelne Bewegungen oder Formen, nicht jedoch ein Tier mit all seinen Eigenarten erkennen können. Bei ihrem Spaziergang durch den Zoo verlassen sich die Mitglieder des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) auf ihre anderen Sinne. Sie lauschen, streicheln und schnuppern.

„Gehen wir auch zu den Leoparden?“, fragt einer der rund 20 Teilnehmer neugierig. Zootierarzt André Schüle (32), der die Gruppe durch die Anlage führt, verneint. Obwohl die Tiere unter Menschenobhut sind, bleiben Raubkatzen doch zu gefährlich. Um die Besucher auf ihre Tasttour einzustimmen, müssen handlichere Tiere her: eine Schlange und eine Echse. Vorsichtig führt Schüle die Finger der Sehbehinderten auf die glatte Haut der Königsnatter: „Fühlen Sie den dreieckigen Kopf?“, fragt er. Eifriges Nicken. „Jetzt ringelt sie sich um meinen Arm“, ruft eine Teilnehmerin lachend und weicht lieber einen Schritt zurück.

In den Händen von André Schüle, dem zu jedem Tier eine lustige Geschichte einfällt, lässt auch die Echse, eine sogenannte Bartagame, die Streicheleien ruhig über sich ergehen. „Sie fühlt sich an wie eine grobe Nagelfeile“, sagt die 69-jährige Karin Hartwig, nachdem sie die rauhe Haut des Reptils berührt hat.

Ganz zart hingegen sind die Lippen von Spitzmaulnashornkuh Kilaguni. Gierig schlabbert und schmatzt sie das Brot aus den Händen von Renate Meyer (56), die sich dem immerhin etwa 1000 Kilogramm schweren Tier mutig nähert. Das Nashorn steht zwar in einer Box und kann seinen Kopf nicht durch die dicken Eisenstäbe hindurchschieben – trotzdem hält Jörg Meyer (48) seine Ehefrau sicherheitshalber am Mantel fest. Zu schnelle und plötzliche Bewegungen können Kilaguni erschrecken, denn Nashörner sind kurzsichtig. Vorsichtige Bewegungen sind auch bei den Lamas angesagt. Sonst riskiert man, mit hochgewürgtem Mageninhalt bespuckt zu werden. Die wuscheligen Tiere nähern sich lieber solchen Besuchern, die unaufdringlich sind. Ganz still steht Gerhard Bacigalupo im Gehege. Seinen Taststock hält er in der linken Hand, er beugt den Oberkörper nach vorn und lächelt. Von irgendwoher wird schon ein Lama zu ihm kommen. Angst vor den Tieren hat der 65-Jährige nicht. Dabei hat ihm bei einer der früheren Führungen mal ein Elefant seinen Stock geklaut und zerbrochen. Ein Treffen mit den Dickhäutern ist auch ein Höhepunkt dieser Tour. Bevor die Besucher den vier Tonnen schweren Tieren unter Aufsicht der Pfleger gegenübertreten, werden Taschen und Stöcke sicherheitshalber abgelegt. „Vielleicht sind sie danach ein bisschen mit Elefantenrotze beschmiert“, warnt Schüle zuvor. Und so tasten Elefantendame Pang Pha und ihre blinden Besucher sich gegenseitig neugierig ab. Die einen mit ihren Händen, die andere mit dem Rüssel, der vorwitzig an Hosenbeinen und Schnürsenkeln entlangschnobert. Vor dem Gehege holt Andre Schüle ein letztes Tastobjekt aus seinem Rucksack: einen ziegelsteingroßen und schweren Elefantenbackenzahn. Die Finger der Besucher gleiten über die breite Kaufläche und die langen Wurzelkanäle. Zahnschmerzen möchte man da nicht bekommen.

Am 30. August veranstaltet der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein wieder eine Führung. Dieses Mal geht es durch den Tierpark Friedrichsfelde. Eine weitere Zoo-Führung speziell für blinde Kinder findet am 28. Oktober statt. Anmeldung und weitere Informationen erteilt die Geschäftsstelle des ABSV unter der Telefonnummer 89 58 8-0. Die Teilnehmerzahl ist jeweils begrenzt.

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