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Berlin: Mit Hektik zum Humor

Die moderne Welt ist unüberschaubar geworden? Nicht für einen Künstler wie Jim Avignon, der mit scheinbar harmlosen Bildern alles erklärt. Um die Gesetze des Kunstmarkts schert er sich dabei nur wenig. Mitunter muss er sogar seine Werke vor sich selbst verstecken – warum, hat er Esther Kogelboom erzählt

MEIN BILD VON BERLIN (1): JIM AVIGNON

Er ist vielleicht der einzige Berliner Künstler, dem Hemden mit Tiermotiv stehen. Er ist der Einzige, der gern von der Bühne fällt. Und er ist wahrscheinlich der Einzige, der das Glück im Unglück findet. Jim Avignon, gefühlte 33, sitzt in der Neuköllner Ankerklause, von Kreuzberg nur durch den Landwehrkanal getrennt. Die Gäste tragen Plastiktüten vom Türkenmarkt am Maybachufer ins Café, Rauchschwaden ziehen durch die Luft. Die schwer beschäftigte Barfrau redet alle mit „meine Lieben“ an. Avignon bestellt einen Fruchtjogurt. Diesmal soll es klappen: Wir wollen über Kunst und Berlin reden. Und nicht über Nebensächliches wie beim letzten InterviewTermin. Da waren wir auf der Kirmes in der Hasenheide, und Jim Avignon hatte keine große Lust, sich zu unterhalten. Stattdessen hat er an der Schießbude einen Dackel-Aufkleber geschossen. Jetzt ist es anders: Avignon redet und redet.

Über sein neuestes Buch „Welt und Wissen“, das bestimmt ein großer Erfolg wird. Avignon und seine Freunde, darunter Schriftsteller, Sängerinnen und Künstler wie Fehmi Baumbach, Françoise Cactus, Almut Klotz und David Wagner, erklären uns darin die Welt. Geklaut ist die Idee von einem großen deutschen Taschenbuch-Verlag, dessen Erklärbücher Avignon früher jedes Jahr zu Weihnachten geschenkt bekam – weil seine Mutter nicht wusste, was sie ihrem Sohn sonst schenken sollte. Jetzt hat Jim Avignon der Welt etwas davon zurückgegeben. In Form von Miniaturen, in die man sich zurückziehen kann wie in einen vorgeheizten, weichen Sessel. Weil es so entspannend und beruhigend ist, die Dinge in einfachen Schaubildern erklärt zu bekommen – sogar die, von denen man eigentlich zu wissen glaubte, wie sie funktionieren. „Die Welt ist ein unüberschaubares Gebilde“, sagt der Künstler. „Man muss probieren, sie für sich selbst einfacher zu machen.“ Das klingt harmlos, ist es aber nicht: Auf der vorletzten Doppelseite von „Welt und Wissen“ findet man zum Beispiel ein Bild mit dem subversiven Titel „From globalisation to world revolution in 5 steps“.

Das ist die Avignonsche Methode: Alles, was auf den ersten Blick harmlos aussieht (bunte Bilder, lustige Männchen, Schnörkelschrift, der Künstler selbst), offenbart auf den zweiten Blick einen gewissen Zynismus und auf den dritten einen besonders großartigen Humor. „Ich will den Schrecken erträglicher machen, indem ich die lächerliche Seite darstelle“, sagt Jim Avignon und löffelt seinen Fruchtjogurt. „So ähnlich wie Charlie Chaplin.“

Jim Avignon kommt viel rum, aber immer wieder nach Kreuzberg zurück. „Berlin is the place for me“, heißt das Bild, das er für den Tagesspiegel gemalt hat. Den Titel hat er bei einer Musik-Compilation namens „London is the place for me“ abgeguckt: Stücke von Calypso-Musikern der 50er Jahre, die von ihrer Heimatinsel ins nasstrübe London ziehen mussten, weil sie nur so Geld verdienen konnten. Das sagt auch viel über Jim Avignons Verhältnis zu Berlin. „Im Grunde beklagen hier immer alle ihr grausames Schicksal“, erklärt er. „Genau wie die Calypso-Musiker damals in London.“ Es seien gerade die Härten des Lebens, die Berlin zu Tage fördere: „Berlin ist das Raubein unter den Städten.“ Dann lacht der in Süddeutschland aufgewachsene Jim: „Abgetakelt is my style.“

Das ist ihm nicht zum ersten Mal aufgefallen, als er neulich am Flughafen Tegel mit „einer ranzigen Tasche voller Müll“ von einer Reise zurückkam und die Rollbahn entlanglief. Etwas weiter entfernt parkte das Flugzeug, das Jim Avignon für die Deutsche BA bemalt hatte. Wieder ein Gegensatz: Jim, der Hektiker, der seine Bilder für wenig Geld verscherbelt oder gleich verschenkt – und Jim, der mal eben gegen ein angemessenes Honorar Flottenteile einer Fluggesellschaft verschönert. Er nimmt das Geld von den Reichen und überlässt den weniger Reichen seine Bilder fast zum Selbstkostenpreis – als eine Art Robin Hood. Deshalb können auch die Gesetze des Kunstmarkts unmöglich Jims Gesetze sein. „Es geht nur ums Kaufen und Verkaufen, der Markt lässt ein großes Publikum einfach vor der Tür stehen“, erklärt Jim Avignon. „Inhalte sind zumindest zweitrangig geworden, nur eine Elite kann sich noch Kunst leisten.“ Als Geldanlage will Jim seine Werke keinesfalls verstanden wissen.

Zappeln und singen

Jedes Jahr schließt der Massenproduzent drei bis vier Bilder weg. Das muss er tun, sagt Avignon. Weil ihn oft Freunde anrufen und sagen: „Hey Jim, meine Tante hat heute Geburtstag. Hast du mal ein Bild?“ Fast immer hat er eines. Und damit er nicht alles verschenkt, versteckt er ein paar Bilder. So konnte er dieses Jahr innerhalb von einem Monat eine große Retrospektive für das Art Museum im finnischen Jyväskylä organisieren. Dort war ein Künstler abgesprungen, und weil Jim sein Ruf als schneller Maler bis in den hohen Norden vorauseilte, beschlossen die Kuratoren, ihn zu engagieren.

Auch als Sänger der Ein-Mann-Band „Neoangin“ tritt Jim Avignon manchmal auf. Wer „Neoangin“ jemals auf der Bühne gesehen hat, ahnt, wie Avignon malt: Zwei Minuten vor Konzertbeginn betritt der hin und her zappelnde Leadsänger mit zwei großen, karierten Polentaschen die Bühne. Aus den Taschen zieht er Keyboard, verknotete Kabel sowie weiteres technisches Equipment und klebt seine Papierkulissen an die Wand. Die Stücke sind kurz wie Beatles-Songs und heißen zum Beispiel „Waiting for the Nightbus“ oder „A friendly dog in an unfriendly world“. Das Keyboard spielt eine wesentliche Rolle. Irgendwann fällt irgendetwas um. Beim Versuch, es aufzuheben, fällt der Sänger von der Bühne. Es gibt sehr viel Applaus. Neuerdings auch von den Russen. Dort wächst seine Fangemeinde.

Die Auftritte gemeinsam mit dem Sänger Nova Huta sind inzwischen ebenfalls legendär: Die beiden singen Lieder von The Cure, als perfekte Ebenbilder von Robert Smith mit blutroten Lippen – minimalistisch-fiepend von einer Kinderorgel begleitet. Man könnte meinen, die Dark-Szene reagiere erbost. Gar nicht wahr. Auf einschlägigen Internet-Seiten werden Nova Huta und Jim als einzig gescheite Cover-Band gefeiert. Ob Jim Avignon singen kann? Ja, klar. Aber er kann noch etwas viel Merkwürdigeres: hellsehen.

Bei einer Vernissage in der Galerie Wewerka saß der ausstellende Künstler in einem von ihm selbst verzierten Pappkasten und sagte seiner Kundschaft die Zukunft voraus. Selbst vor schlimmsten Prophezeiungen hatte er keine Angst – und drückte potenziellen Käuferinnen und Käufern einen Zettel mit der Aufschrift „Your sex life will be boring“ in die Hand. Trotzdem haftete gegen Ende des Abends neben den meisten Werken ein orangefarbener Punkt.

Jim Avignon holt Luft. Die Kellnerin hat den Jogurt-Teller längst mitgenommen. Eine Frau im roten Mantel betritt die Ankerklause. Sie und Jim kennen sich. Aus Singapur, wo er im Goethe-Institut ausstellte? Aus Moskau? Aus Jyväskylä? Egal. Man verabredet sich auf einen Kaffee, ein anderes Mal. Bevor die Frau in Richtung Türkenmarkt verschwindet, holt Jim noch schnell sein „Welt und Wissen“-Buch aus der Tasche. „Hier, für dich“, sagt er. „Geschenk.“ Ein freundlicher Hund in einer unfreundlichen Welt.

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