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Berlin: Mit langem Atem

ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann lief schon als Schüler, machte als Student 27 Semester lang viel Sport und ein wenig Germanistik – und schaffte es zum deutschen Marathon-Vizemeister

Mag ja sein, dass es eigenartig klingt, aber es ist wirklich so: Von Kindheit an hat mir das sportliche Laufen mein Leben erleichtert. Als ich Schüler war, zogen wir von Köln nach München, weil mein Vater einen Posten bei Siemens bekommen hatte. In der neuen Klasse und im Fußballverein hatten sie auf einen Rheinländer wie mich nur gewartet. Mir schlug unverhohlene Skepsis entgegen.

Was mich rettete? Das Laufen. Zum Glück war ich als langer, leichter Schlacks ziemlich schnell auf den Beinen. Mit der Schulmannschaft gewann ich die Stadtmeisterschaften über 1000 Meter – und plötzlich war ich akzeptiert. Genauso war es im Fußballverein: Dort spielten vor allem Lehrlinge. Gymnasiasten wie ich waren nicht gerade willkommen. Aber weil ich flink am Ball war, nahmen sie mich in ihre Gemeinschaft auf.

Mit 15 schoss ich in die Höhe und wurde langsamer, was mich beim Fußball mächtig frustrierte. Also stieg ich um auf Leichtathletik. Und die sollte mir 27 sorglose Semester Germanistik und Geschichte bescheren. Damals wollte ich Dramaturg am Theater werden, aber eilig hatte ich es damit nicht. Einer unserer Professoren ermunterte uns sogar zu einem gemächlichen Tempo, er hatte uns gesagt: „Später werden Sie sehen, die Studienzeit wird die schönste Zeit Ihres Lebens.“ Er sollte Recht behalten.

Wir führten ein fröhliches, sorgloses, lustiges Dasein mit viel Sport, ein bisschen Jobben und gelegentlichen Universitätsbesuchen. Für heutige Studenten, die mit Sparprogrammen und höherem Druck von allen Seiten kämpfen, muss das geradezu märchenhaft klingen.

Unvergesslich für mich sind die Trainingslager in Berlin, bei denen wir immer versuchten, Sport und Kultur zu kombinieren. Einmal zum Beispiel fielen der Teufelsberg-Cross und die Jazz-Tage zusammen. Tagsüber durch den Dreck laufen und abends den Sänger Al Jarreau hören, den damals noch niemand kannte – das war klasse. Berlintypisch fand ich es in der Jungfernheide. Am Schwimmbad und an Kleingärten entlang, an kickenden Kindern vorbei, das war für uns die Berliner Luft. Bis heute genieße ich es, in Berlin zu laufen, schon deswegen, weil die Bewohner der Hauptstadt eine Spur verrückter sind.

Das Schöne am Laufen ist, dass es mir noch immer Spaß macht. Viele Athleten fassen ja ihre Sportgeräte nicht mehr an, wenn sie ihre Karriere beendet haben. Ich hatte das Glück, dass ich eher zufällig für ein paar Jahre in der deutschen Spitze herumgelaufen bin. Damals bin ich mit zwei WG-Freunden aus Spaß einen Marathon gelaufen. Die Abmachung galt: Wer mehr als drei Stunden brauchte, der musste die anderen zum Essen einladen. So ganz nebenbei sind wir da die Qualifikation für die Deutsche Meisterschaft gelaufen. Aus dem Spaß war plötzlich Ernst geworden: Ab sofort mussten wir ernsthaft trainieren.

Das sah so aus: Wir haben uns einen alten, großen Ford gekauft, in dem man schlafen konnte und haben Urlaub an der Ostsee gemacht. 25 Kilometer vor dem nächsten Campingplatz wurden zwei von uns ausgesetzt, mit der Vorgabe, in 100 Minuten dort einzutreffen. Zur Belohnung gab es reichlich Bier. Das Training funktionierte: Am Ende des Urlaubs waren wir fit wie nie. So wurde ich deutscher Vize-Meister im Marathon, der eine Freund wurde Vierter, der andere Zwölfter.

Dass ich wegen einer blöden Erkältung die Qualifikation für Olympia in Montreal nicht geschafft habe, ärgert mich bis heute. Olympia als Reporter ist ein tolles Erlebnis. Als Athlet ist es großartiger.

Folge2 am kommenden Mittwoch. Eberhard Diepgens Tipp: Schlosspark Pankow.

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